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Lieber mächtig und böse

von Yvonne

Obwohl über den Zweiten Weltkrieg bereits zahllose Sachbücher und Romane geschrieben wurden, gibt es immer noch Puzzle-Teile, die zum Gesamtbild er größten Menschheitskatastrophe fehlen. Die Geschehnisse, die dazu geführt haben, dass Nationen zu Tätern, Mitläufern und Duldern wurden, sind komplex, miteinander verzahnt und so sehr an Individuen gebunden, dass man sie heute kaum noch aufschlüsseln kann.

Ursula Ackrill legt in ihrem Debütroman Zeiden, im Januar den Fokus auf die Siebenbürger Sachsen, die als Minderheit im rumänischen Staat endlich ihre Chance sehen, das lange erlernte „Schäm dich und schweig“ abzulegen und endlich mitzuspielen in der Liga der Mächtigen. Denn was man ihnen erzählt, was man hört aus dem doch recht weit entfernten Deutschen Reich, klingt allzu verlockend: Als Deutscher sei man schon immer überlegen gewesen, zu Höherem bestimmt. Da fällt die Wahl leicht, ob man Rumänien, zu dem man heute gehört, Ungarn, das vor Rumänien die Herrschaft über Siebenbürgen hatte, oder das Deutsche Reich, dem man sich vor allem sprachlich verbunden fühlt, unterstützt.

Im Januar 1941 ist das siebenbürger-sächsische Dorf Zeiden dabei, alle sich bietenden Gelegenheiten beim Schopf zu fassen und seine Bürger darauf vorzubereiten, am Ruhm des Deutschen Reichs teilzuhaben. Rassistische Propaganda wird gedankenlos wiederholt, Euthanasie-Plakate ausgehängt und die Jugend wird gewogen und vermessen, damit möglichst viele von ihnen bei der Waffen-SS unterkommen, um nicht in der rumänischen Armee dienen zu müssen. Am Abend des 21. Januar hält der Volksgruppenführer Andreas Schmidt eine Rede, die den letzten Zweiflern klar macht, wie viel Siebenbürgen dem Deutschen Reich zu verdanken hat, schließlich hat man von den Deutschrittern gelernt, wie man Burgen baut.

Dass man gerade dabei ist, sämtliche Werte und Moralvorstellungen für die Aussicht auf ein bisschen Macht und Wohlstand herzugeben, spüren sicher einige, doch nur Leontine Philippi spricht es aus. Die Mittfünfzigern ist vor vielen Jahren aus dem nahegelegenen Kronstadt zugezogen, ist gebildet und eigenständig, und die Tatsache, dass sie ihr Leben lang eine – geduldete, zeitweise sogar geachtete – Außenseiterin war, erlaubt es ihr nun, zu erkennen was die Motivation für die Politik in Siebenbürgen ist. Ihre Ablehnung, die auf Werten basiert, die eigentlich niemand ablehnen kann, kostet sie Freundschaften, die Achtung der Mitbürger und am Ende sogar das Zuhause. Jeder, egal ob Arzt, Lehrer oder Richter, scheint gute Gründe dafür zu haben, seine Werte über Bord zu werfen und sich denjenigen anzuschließen, die die besten Versprechungen machen. Einzig Apothekerin Edith hat Skrupel und wendet sich damit an Leontine, denn ihr Gehilfe Joseph, als Dorftrottel verschrien, wird von den neuen Mächtigen offen mit Kastration und Euthanasie bedroht.

Zeiden, im Januar: Entscheidung zwischen Aufstieg und Werten

Ursula Ackrill erzählt in Zeiden, im Januar detailreich und schlaglichtartig von den Ereignissen in Siebenbürgen im Januar 1941, und analysiert auf Personenebene, was die Bewohner des Dorfs dazu antreibt, mitzumachen bei der Vernichtung, Ausgrenzung und Ermordung von Minderheiten, wo sie doch selbst seit Jahrzehnten unter genau diesem Stigma leiden. Dabei verwendet sie eine Sprache, die die Ausgrenzung der Siebenbürger Sachsen ebenfalls deutlich macht: teils altes Deutsch, teils Kunstsprache, stößt man sich beim Lesen an vielen kleinen Ecken und Kanten, reibt sich an der Sprache auf und stockt immer wieder über einzelnen Begriffen.

Doch nicht nur die Sprache, auch ihre Anordnung ist besonders in Zeiden, im Januar: zahlreiche Zeitsprünge, teils nur über Stunden, teils über Jahrzehnte, durchziehen den Roman, der daher kommt wie die Zeidener Chronik, an der Hauptfigur Leontine schreibt: Bis auf die Minute genau sind die zwischen wenigen Zeilen und einigen Seiten langen Szenen, die am Ende ein Gesamtbild ergeben, dass man sich aber selbst erschließen muss und nicht auf dem Silbertablett geliefert bekommt.

Diese Fragmente, aus denen Zeiden, im Januar besteht, machen den Roman – im positiven Sinn – anstrengend und es dauert deutlich länger als in einem chronologisch erzählten Roman, bis man sich eingefunden hat. Die Form spiegelt aber auch den Inhalt wider: Diese vielen einzelnen Fäden, die sich zur Handlung verdichten, entsprechen viel eher der Realität der Politik, wie Leontine sie beobachtet – und verhindern will: Viele individuelle Interessen fließen zusammen und formen das Wohl der Gemeinschaft. Wer am Ende seine eigenen Wünsche durchsetzen kann, hängt von Glück und der Gunst der Mächtigen deutlich mehr ab als von Vernunft und der richtigen Wahl. Volksgruppenführer Andreas Schmidt und der Orts- und spätere Lagerarzt in Auschwitz Fritz Klein – beides historisch verbürgte Personen – erkennen das und nutzen die Gunst der Stunde, in der sie etwas beitragen können zu größeren Zielen, in der Hoffnung, dass dies ihnen bei ihren persönlichen Zielen hilft. Und genau das ist die große Stärke des Romans: Das Herunterbrechen von Politik in die Handlungen und Interessen von Individuen, in ein Abwägen auf persönlicher Ebene, wo der kleine Stein, den man zum großen Bösen hinzufügt, gar nicht so schlimm erscheint. Und doch ist dieses große Böse nur möglich durch unzählige individuelle Handlungen, die in Summe erst möglich machten, was man immer noch nicht fassen kann.

Zeiden, im Januar schaffte es auf die Shortlist für den Preis der Leipziger Buchmesse 2015. Leider unterlag der Roman dem Gedichtband Regentonnenvariationen von Jan Wagner, gewann jedoch durch die Nominierung die Aufmerksamkeit, die diesem schwierigen kurzen Roman meiner Ansicht nach zusteht.

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