Eine Shortlist nach der anderen: Gestern die Shortlist für den Man Booker Prize 2012 und heute ist die Longlist des deutschen Buchpreises 2012, die mit zwanzig Titeln auch wirklich ungewöhnlich lang war, auf die letzten sechs Romane verkürzt worden. Die Preisverleihung wird am 8. Oktober stattfinden. Ein bisschen Zeit ist also noch, sich die Bücher anzusehen und selbst ein Bild zu machen. Wem das zu viel ist: In den Buchhandlungen liegen dünne Bände mit Leseproben der Longlist-Nominierten aus, die kostenlos sind.
Nachdem von meinen ursprünglichen Favoriten nur noch „Indigo“ von Clemens J. Setz im Rennen ist, tippe ich jetzt einfach darauf, dass dieser Roman den Deutschen Buchpreis gewinnt. Oder vielleicht doch „Sand“ von Wolfgang Herrndorf, der ja schon den Preis der Leipziger Buchmesse gewonnen hat – und das, wie ich finde, völlig zu Recht.
Shortlist Deutscher Buchpreis 2012
Robinsons blaues Haus (Ernst Augustin)
Der Tod ist ein kleiner Mann mit Hut – ganz klar, denn Hüte trägt man ja gar nicht mehr. Und manchmal begegnet man diesem Mann auf einer Zugfahrt, und dass er der Tod ist, merkt man spätestens, wenn er danach fragt, in welchem Zug er da eigentlich sitzt. So zumindest in Ernst Augustins „Robinsons blaues Haus“, in dem der Erzähler uns an seinem Leben teilhaben lässt, dass sich vor allem in dessen Innerem, in seiner Fantasie abspielt. Wie Robinson fühlt er sich in einer Welt, in der er mal hier, mal dort strandet, und immer auf der Flucht ist oder sich in Lagerhallen, in Fabrikgebäuden versteckt.
Was diesem modernen Robinson fehlt, ist ein Freitag. Und so sucht und findet er ihn – im Internet, wie man das heute eben macht. Und nähert sich ihm vorsichtig an, während er gleichzeitig seine Kindheit und sein Leben Revue passieren lässt. [Zur Rezension…]
Sand (Wolfgang Herrndorf)
Ein Mann erwacht in Nordafrika auf dem Dachboden einer Scheune, in der ganz offensichtlich illegal Schnaps gebrannt wird, und weiß nicht mehr, wer er ist. Aber er erkennt sofort, dass er in Gefahr ist. Offenbar wird er verfolgt, kann aber fliehen. Doch immer wieder begegnet ihm seine Vergangenheit in Form von halbseidenen Gestalten, die ihm an den Kragen wollen. Irgendwas muss er gemacht haben, doch nicht einmal sein Name fällt dem Mann mehr ein, weswegen er sich irgendwann einfach Carl nennt – nach dem Etikett in seiner Anzugjacke.
Etwa zeitgleich und nicht weit entfernt fallen vier Mitglieder einer Hippie-Kommune einem offensichtlich wahnsinnigen Attentäter zum Opfer. Eine amerikanische Touristin, die angereist ist, um ihrer in der Kommune lebenden besten Freundin Trost zu spenden, trifft zufällig auf den Mann ohne Gedächtnis – und plötzlich sind Verbrecherbanden, verschiedene Geheimdienste und eine nicht immer sehr professionelle Polizei hinter den beiden her. [Zur Rezension…]
Landgericht (Ursula Krechel)
Richard Kornitzer war 1933 Patentrichter in Berlin, als er auf Grund seiner jüdischen Herkunft von den Nazis aus dem Amt entfernt wurde. Er floh nach Kuba, was ihm das Leben rettete, jedoch seine Familie auseinanderriss – die protestantische Frau konnte in Deutschland bleiben, die beiden Kinder schafften es nach England.
Ende der 1940er Jahre kehrt Kornitzer zurück in seine alte Heimat. Er will vor allem eins: seine Familie wieder zusammenbringen. Doch die Kinder sind jetzt in England zu Hause und wollen gar nicht zurück, und so bleibt Kornitzer nur, zumindest gegen das Vergessen anzugehen, das in der Nachkriegsgesellschaft schnell um sich greift und viel bequemer ist als die Erinnerung.
Indigo (Clemens J. Setz)
Das „Indigo-Syndrom“ ist eine seltsame Krankheit: jeden, der sich den Kindern nähert, die dieses Syndrom haben, befallen Übelkeit, Schwindel und Kopfschmerzen. Die betroffenen Kinder werden gemeinsam in einem Internat in der Steiermark unterrichtet, wo dem Mathematiklehrer Clemens Setz seltsame Vorgänge auffallen. Kinder werden im Auto weggefahren, dabei sind sie maskiert, und niemand scheint zu wissen, wohin die Reise geht. Setz will herausfinden, was es damit auf sich hat, wird aber aus dem Schuldienst entlassen, bevor er irgendetwas entdeckt.
Doch die Geschichte ist hier noch nicht zu Ende. Denn fünfzehn Jahre später steht ebendieser Mathematiklehrer vor Gericht, weil er verdächtigt wird, einen Tierquäler ermordet zu haben. [Zur Rezension…]
Fliehkräfte (Stephan Thome)
Hartmut Hainbach, Ende 50 und Philosophie-Professor von Beruf, möchte eigentlich nur das Richtige tun. Nur wie geht das? Das weiß er nicht und sein Leben fühlt sich deswegen wie gescheitert an. Oder kann er in seinem Alter noch einmal ganz von vorne anfangen? Sich neu definieren? Ein Verlag bietet ihm eine Stelle an, doch diese anzunehmen, würde bedeuten, seine bisherige Existenz aufzugeben und damit auch seine Entscheidungen in Zweifel zu ziehen.
Und dieses Risiko einzugehen, wenn man das Ende des Lebens schon in Blickweite hat, ist doch vielleicht etwas zu viel. Auf der anderen Seite: Wenn man jegliches Risiko vermeidet, scheitert man schon vor dem Versuch. Also überlegt Hainbach, und gleichzeitig denkt er über die Entscheidungen nach, die ihn dahin gebracht haben, wo er jetzt ist.
Nichts Weißes (Ulf Erdmann Ziegler)
Marleen Schuller wird in den Sechzigern geboren, in Neuss, und von Kindheit an ist sie begeistert von der Welt der Buchstaben und der Schrift. Eine typographische Ausbildung und das Erlernen der fotografischen Bildsprache in Paris bringen sie näher an ihren Traum, die perfekte Schrift zu (er)finden.
Doch was in den 1980ern zeitgemäß ist, wird durch die Medienrevolution und die Allgegenwart von Computern altmodisch und überholt, und Marleens Lebenslauf wird durch die technische Entwicklung entwertet und umgelenkt. [Zur Rezension…]
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