„Lumpenkurzgeschichte“ wäre fast noch passender: Die rund hundert Seiten von „Lumpenroman“ sind schnell gelesen und können jedem, der vor dem viel diskutierten Werk „2666“ auf Grund der Länge des Romans zurückschreckt, als wunderbarer Einstieg in Roberto Bolaños Schreiben dienen. Lesenswert ist die Geschichte allemal.
Plötzlich auf sich allein gestellt
Biancas Eltern sterben bei einem Autounfall, und von einem Tag auf den anderen ist sie mit ihrem Bruder auf sich selbst gestellt. Mit der Rente des Vaters können sie zumindest die Miete zahlen und so in der elterlichen Wohnung bleiben. Die Geschwister richten sich ihr Leben einigermaßen ein, wobei der Fernseher bald die zentrale Rolle in ihrer Freizeitgestaltung spielt. Beide hören auf, zur Schule zu gehen, und suchen sich stattdessen Arbeit, um etwas besser über die Runden zu kommen.
Bianca nimmt eine Stelle in einem Friseursalon an, während ihr Bruder Hilfstätigkeiten in einem Fitness-Studio verrichtet. Dort lernt er zwei halbseidene Gestalten kennen, die den Kontakt zu ihm suchen. Als die beiden eine Bleibe suchen, quartiert Biancas Bruder sie kurzerhand in der Wohnung ein. Bianca vermutet, dass die beiden illegalen Geschäften nachgehen. Da sie sich aber respektvoll verhalten, im Haushalt helfen – und es ihr wohl auch egal ist – toleriert sie die neuen Mitbewohner und beginnt irgendwann sogar mit beiden Affären.
Schleichend wird auch Bianca in die kriminellen Machenschaften der Männer einbezogen, wobei sie jedoch stets versucht, sich ihre Würde einigermaßen zu bewahren, indem sie sich von ihren Handlungen distanziert. Eine Art Betrügerei soll es werden, für die sie gebraucht wird, und erst spät dämmert ihr, dass sie nicht Täter, sondern Opfer in diesem Szenario ist.
Entwicklung von der Kriminellen zur Mutter
Schon ganz zu Beginn erfährt man, dass „Lumpenroman“ zumindest ein kleines Happy End hat – Bianca ist mittlerweile Mutter und hat ihr kriminelles Leben lange hinter sich gelassen. Wie zuverlässig die Erzählerin ist, bleibt dabei unklar. Immer wieder distanziert sich Bianca von ihren Handlungen, erzählt, dass sie nicht wissen konnte, was sie da eigentlich tat, und doch deutet gerade das Ende der Geschichte (und der Anfang des Buchs) darauf hin, dass die junge Frau sich über mehr Dinge im Klaren war, als ihr im Nachhinein vielleicht lieb ist. Gerade die Tatsache, dass sie nun selbst Mutter ist, bringt sie aber dazu, ihre Jugendzeit kritisch zu reflektieren.
Darüber hinaus zeigt sich „Lumpenroman“ vor allem als wunderschön geschriebene Lebensbeichte einer jungen Frau, die es nach einigen Umwegen doch noch geschafft hat, ihre kriminelle Vergangenheit hinter sich zu lassen.
Infos zum Buch
Lumpenroman (Una novelita lumpen)
Roberto Bolaño
112 Seiten
Erstausgabe 2002 (dt. 2010)
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