„Cabo de Gata“ ist ein kleines Fischerdorf südlich von Almería, einer dieser Orte, denen in Reiseführern Attribute wie authentisch, ursprünglich, romantisch zugeschrieben wird. In dieses Dorf verschlägt es den namenlosen Ich-Erzähler kurz nach der Wende. Aus Berlin, wo die Ex-Frau ihn nur anruft, wenn sie einen Babysitter für die nicht mal gemeinsame Tochter braucht, und er schon länger vergeblich versucht, einen – den – Roman zu schreiben, zieht es ihn fort, und er verkauft, verschrottet, verstaut sein Hab und Gut, bevor er in den erstbesten Zug nach Süden steigt. In Barcelona, seiner ersten Station, hält es ihn nicht lange, und schon bald darauf findet er sich auf dem Weg ins laut eigener Aussage letzte Paradies der Welt wieder: nach Cabo de Gata.
Für den Großstädter, der vorher noch nie von Andalusien gehört hat, erweist sich die erste Zeit in dem Dorf als Kulturschock. Die Besitzerin des einzigen Hotels am Ort hält er versehentlich für die Putzfrau, die Decken, die ihm bereit gestellt werden, reichen nicht, um die Kälte nachts abzuhalten und die Dorfbewohner reagieren mit irgendetwas zwischen interesseloser Distanz und unbegründeter Abneigung auf ihn. Dennoch entschließt er sich, dem Ort eine Chance zu geben, zu bleiben und hier endlich seinen Roman zu schreiben.
Auch wenn er den Morgen damit verbringt, erste Sätze in ein Ringbuch zu schreiben, die er nachmittags wieder herausreißt, bringt die intensive Beschäftigung zunächst mit nichts, dann mit sich selbst, ihn schließlich auf den Weg, neue Erkenntnisse für sein Leben zu erlangen. Eine besondere Rolle spielt dabei eine Katze, mit der der Erzähler sich anfreundet, die von ihm Verantwortung und Zuneigung verlangt und die ihn dafür mit ihrer Anwesenheit belohnt.
Einmal Cabo de Gata und zurück
Während man sich in die Natur in Cabo de Gata, die Dorfbewohner und selbst die Katze schnell und leicht einfühlen kann, gelingt dies beim Erzähler über weite Strecken nicht. Die Bitterkeit, die er empfindet und auch mehrfach selbst thematisiert, führt dazu, dass ihn einfach alles nervt, die Nachbarn in der Berliner Wohnung, die Touristen in Barcelona, der zu dicke Hintern der Bedienung in seinem Hotel und am Ende sogar seine einzige Freundin in Cabo de Gata, die Katze. Tatsächlich trägt „Cabo de Gata“ alle Merkmale eines Entwicklungsromans, nur, dass sich hier eben ein erwachsener Mann noch einmal entwickelt, dem man vielleicht nicht ganz so leicht nachsieht, wenn er einfach nur alles doof findet.
Wie es sich für einen Schriftstellerroman, der mit der Frage nach Authentizität und autobiographischer Prägung kokettiert, gehört, fehlen auch nicht Gespräche, die sich um Literatur drehen. Ein Amerikaner, dem sich der ungenannte Erzähler ganz unbescheiden als Peter Handke vorstellt, beschwert sich über die amerikanische Literatur: viel zu sehr ist man am Plot interessiert, auf die Story aus. „Cabo de Gata“ kann man das nicht vorwerfen. Doch bringen viel Seitenrand, etliche unbedruckte Seiten und das mantrahaft eingewobene „Ich erinnere mich“ die Erzählung auch ohne große Handlung auf stolze 208 Seiten, die man locker während ein bis zwei Bahnfahrten durchgelesen hat.
Während „In Zeiten des abnehmenden Lichts“ mich 2011 enorm positiv überrascht hat, bin ich von „Cabo de Gata“, dem Nachfolgeroman, ziemlich enttäuscht. Zu wenig nahbar ist die Hauptfigur, zu nutzlos-selbstreferentiell viele Andeutungen, als dass man wirklich vom Buch in den Bann gezogen werden könnte. Einzig der langsame und geduldige Aufbau der Beziehung zur streunenden und doch treuen Katze versöhnt einen kurzfristig, wenn auch leider nicht dauerhaft, mit der trotz seiner Kürze immer wieder langatmigen Geschichte um einen Mann, der sich selbst am Ende der Welt sucht.