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Im Stein (Clemens Meyer)

von Yvonne
Cover "Im Stein" (Clemens Meyer)

Cover „Im Stein“ (Clemens Meyer)

Innovationsweltmeister soll man sein, wenn man im Geschäft bleiben will. Den Tipp hat Arnold Kraushaar aus seinem BWL-Studium, das er mit Mitte Dreißig eher als Zusatzqualifikation ansieht. Denn zu diesem Zeitpunkt steht Arnold, der respektvoll auch AK-47 genannt wird, schon mit beiden Beinen – eins gesund, eins seit einem Schusswechsel humpelnd – im Business. Seine Innovation: Er macht in Immobilien. Und vermietet diese zum Tagespreis von 100 Euro an Prostituierte – Papierkram, Marketing, Wäsche und Sicherheitsdienst inklusive. Arnold Kraushaar würde sich jedoch nie Zuhälter nennen, denn schließlich arbeiten „seine Mädels“ auf eigene Rechnung, nach eigenen Regeln. Und rekrutieren muss er auch niemanden; da bei ihm „alles sauber“ ist, stehen die Miet-Interessentinnen Schlange. Ist schließlich immer noch besser, als in einem Club oder auf der Straße zu arbeiten.

Clemens Meyers zweiter Roman „Im Stein“ handelt von den Gestalten der Nacht in einer namenlosen Großstadt, die nur Leipzig sein kann, von Polizisten, Prostituierten, Zuhältern. Lose hängen die Geschichten, die aus der Perspektive verschiedenster Figuren geschildert sind, zusammen. Alles verbindende Elemente sind dabei Sex und Geld und vor allem Geld, das mit Sex verdient wird. Ein ehemaliger Jockey grast die Bordelle und Straßenstrichs ab, um seine Tochter wiederzufinden, eine Prostituierte hofft auf die Zeit „danach“, Arnold Kraushaar kämpft gegen die russische Mafia, um seine Immobilien-Geschäfte zu schützen und ein Piratensender stellt seine Mädchentests dem interessierten Publikum zur Verfügung. Und damit die Gleichberechtigung nicht auf der Strecke bleibt, kassiert der Staat dank neuer Prostitutionsgesetze und Pauschalbesteuerung mit am Geschäft der „sexuellen Dienstleisterinnen“.


Im Stein: Geschichten aus einer Parallelwelt

„Im Stein“ wirft ein detailliertes und genau recherchiertes Bild auf eine Welt, mit der man normalerweise nichts zu tun hat und bei deren Schilderung sich einem an macher Stelle der Magen umdreht. Hört man beispielsweise die ausführlichen und absolut respektlosen Prostituierten-Bewertungen des Radiomoderators Ecki, der der Meinung ist, so lange man statt Nutte Puszta-Pussie sagt, ist alles in Ordnung, oder liest man, wofür die zahlreichen Annoncen-Abkürzungen stehen, kann einem schon mal schlecht werden – insofern ist „Im Stein“ sicher nichts für Zartbesaitete. Die Gesellschaft, die Clemens Meyer da beschreibt, und die nun mal unsere ist, ist absolut erschreckend.

Dabei ist der Roman gleichzeitig sprachlich absolut ansprechend, zu 90% werden die Geschehnisse in Form von Bewusstseinsströmen geschildert, durchsetzt mit Anspielungen auf Literatur, Politik und Popkultur. Das zieht einen auch dann noch in den Bann, wenn man der Schilderung von Körperflüssigkeiten und Sexualpraktiken längst überdrüssig geworden ist.

Insgesamt ist „Im Stein“ eine drastische Schilderung einer Parallelwelt, die durch unsere kapitalistische Gesellschaft erst möglich gemacht wird, und ein Buch, das einem nach dem Lesen lange nicht loslässt.

„Im Stein“ steht auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis 2013.

Infos zum Buch

Im Stein
Clemens Meyer
560 Seiten
Erstausgabe 2013


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