Intelligent wie Hannibal Lecter, kalt wie HAL 9000, selbstgerecht wie der Joker und zielstrebig wie ein Terminator: Anton Chigurh ist niemand, mit dem man sich anlegen sollte. Der Mörder, der keiner Moral als seiner eigenen verpflichtet ist, dessen Lieblingswaffe ein Bolzenschussgerät ist und der für seine Opfer schon mal gerne eine Münze um deren Leben wirft, kommt in eine Welt, die nicht auf ihn vorbereitet ist, und derjenige, den er sucht, ist mit der Situation völlig überfordert: Llewelyn Moss, der beim Jagen auf eine erschreckende Szenerie gestoßen ist, die nicht nur sein Leben verändert.
In der texanischen Wüste findet Llewelyn mehrere Autos, deren Insassen bis auf einen tot sind, erschossen. Der letzte Überlebende ist schwer verwundet und fragt nach Wasser, doch Llewelyn hat keins und ist auch mehr von dem in Bann gezogen, was da wohl stattgefunden hat. Eine große Menge Heroin und ein Koffer mit mehr als 2 Millonen Dollar sprechen eine klare Sprache: Hier ist ein Drogendeal ziemlich schief gegangen. Llewelyn denkt nicht lange nach, schnappt sich das Geld und fährt nach Hause in den Trailerpark zu seiner 19jährigen Ehefrau Carla Jean. Doch in der Nacht lässt ihn sein schlechtes Gewissen nicht schlafen, und so fährt Llewelyn noch einmal los, um dem Verwundeten in der Wüste Wasser zu bringen. Ein großer Fehler, denn aus dem Verwundeten ist längst der nächste Tote geworden, denn die Auftraggeber des Drogendeals sind bereits an Ort und Stelle, um sich ihr Geld zurückzuholen. Sie bemerken Llewelyn, doch die Dunkelheit hilft ihm, erst mal zu verschwinden. Den Wagen, mit dem er gekommen ist, muss er aufgegben, womit natürlich auch seine Identität bekannt ist.
Kein Land für alte Männer: Moderner Western in den 1980ern
Genau wie die Drogenbosse ist auch Llewelyn nicht dumm, und so sorgt er vor, schickt seine Frau zu ihrer Großmutter und verschwindet selbst in einem Motel. Dass das Geld mit einem Peilsender ausgestattet ist, merkt er zu spät, und schon bald ist nicht nur eine ganze Reihe mexikanischer Krimineller, sondern eben auch der erbarmungslose und leicht wahnsinnige Chigurh hinter ihm her. Auf den Spuren der Killer ist der alternde Sherrif Bell, der merkt, dass er dieser Art von Verbrechen und Bosheit nicht gewachsen ist – daher der Titel „Kein Land für alte Männer“ -, und der davon ausgeht, dass die Zukunft noch mehr Menschen wie Chigurh bereithalten wird.
„Kein Land für alte Männer“ wurde in Deutschland vor allem bekannt durch die Verfilmung der Coen-Brüder, die 2008 mit vier Oscars ausgezeichnet wurde, darunter für den besten Film und das beste adaptierte Drehbuch. Auch Javier Bardem wurde für seine eindringliche Darstellung des Killers Chigurh als bester Nebendarsteller ausgezeichnet, und wenn man die literarische Vorlage von Cormac McCarthy liest, nachdem man den Film gesehen hat, ist es schwierig, nicht Bardems Gesicht und vor allem seine Günter-Netzer-Frisur vor Augen zu haben, wenn von Chigurh die Rede ist, genau so, wie Sheriff Bell immer das Gesicht von Tommy Lee Jones haben wird. Die Verfilmung hält sich darüber hinaus so genau an den Roman, dass man beim Lesen die einzelnen Szenen wieder vor Augen hat, statt sie sich selbst vorzustellen. Dennoch lohnt es sich auf jeden Fall, „Kein Land für alte Männer“ zu lesen, auch wenn man „No Country for Old Men“ bereits kennt. Die Bücher von Cormac McCarthy zeichnen sich durch seine eindringliche und schlichte Sprache aus, die sich aufs reine Beobachten beschränkt und keinerlei Interpretation vorwegnimmt. Dies ist auch in „Kein Land für alte Männer“ der Fall, und wie oft bei McCarthy sind die Beobachtungen nicht nur detaillert, präzise und plastisch beschrieben, sondern von ungeheurer Brutalität. Die Welt, die McCarthy beschreibt, ist eine Welt, in der derjenige die Macht hat, der zu mehr Gewalt bereit ist, und in der verliert, wer auf sein Gewissen hört. Und so bleibt trotz etlicher Schießereien, trotz Bolzenschussgerät und wahnsinnigem Killer am Ende des Lesens ein Gefühl zurück, das der Titel schon erahnen lässt: Melancholie.
Wie auch der Film ist „Kein Land für alte Männer“ nichts für zarte Gemüter, doch sind die Gewaltdarstellungen nie voyeuristisch, sondern durch McCarthys beobachtenden Stil eine nicht zu leugnende Tatsache, mit der man – wie die Figuren des Buchs – leben und umgehen muss und vor der man die Augen nicht verschließen kann. Keine leichte Unterhaltung, sondern ein ernster Roman über Gut und Böse.