David Lurie ist Anfang 50, Professor für englische Literatur in Kapstadt und beginnt eine Affäre mit einer seiner Studentinnen. Bis zu dieser Stelle könnte „Schande“ auch von Philip Roth stammen, doch bei J.M. Coetzee ist dies nur der Ausgangspunkt für eine ganz andere Geschichte. Die Affäre fliegt auf; ein eifersüchtiger Ex-Freund und die religiösen Eltern bringen Luries Geliebte dazu, ihn bei der Universitätsleitung anzuzeigen, und da er nicht bereit ist, öffentlich Reue zu bezeugen, verliert er seine Stelle. Um etwas Abstand zu gewinnen, besucht er seine Tochter Lucy für unbestimmte Zeit auf dem Land. Lucy lebt ein ganz anderes Leben als ihr Vater. Von der Stadt hat sie sich abgekehrt, und sie bewirtschaftet nun eine eigene Farm. Die wichtigste Hilfe erhält sie dabei von Petrus, einem afrikanischen Farmer, den sie angestellt hat, nachdem ihre Lebensgefährtin sie verlassen hatte.
Zwei Länder Südafrika
Anfangs tut Lurie sich schwer damit, bei seiner Tochter zu leben. Besonders ähnlich sind die beiden sich nicht, haben unterschiedliche Ansichten und Einstellungen. Auch war der Kontakt eine Weile lang nicht so eng, dass es jetzt einfach wäre, zusammenzuleben. Hinzu kommt, dass das Südafrika, in dem seine Tochter auf dem Land lebt, ein ganz anderes ist, als das Südafrika, das er aus Kapstadt kennt. Mit der Zeit aber findet er in den Rhythmus des Farmlebens und scheint langsam sein bisheriges Leben zu überdenken._
Doch die Annäherung zwischen Lurie und seiner Tochter wird jäh unterbrochen, als sie auf der Farm Opfer eines brutalen Überfalls werden. Drei Männer überwältigen Lurie, sperren ihn ein, vergewaltigen Lucy und nehmen alles mit, was sie greifen können. Lurie, der vor allem damit zu kämpfen hat, dass er unfähig war, seiner Tochter zu helfen, versucht, sie zu überzeugen, mit ihm nach Kapstadt zu gehen. Doch Lucy weigert sich, die Farm zu verlassen oder auch nur die Vergewaltigung anzuzeigen und wird zunehmend teilnahmslos, so dass ihr Vater die Arbeiten auf der Farm übernehmen und gleichzeitig einen Weg zu seiner Tochter finden muss.
Lucys Entscheidungen, die Lurie so wenig nachvollziehbar sind, fallen einerseits vor dem Hintergrund der zwar beendeten, aber längst nicht überwundenen Apartheid, andererseits basierend auf dem Verhältnis zwischen Mann und Frau, das ihr eine Position der Schwäche zuweist, die sie vor dem Unfall stets von sich gewiesen hatte. Und so gibt „Schande“ zum einen ein kritisches Portrait Südafrikas, zum anderen aber auch eine Menge Stoff zum Nachdenken über Stärke, Schwäche und Emanzipation.