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Flut (Daniel Galera)

von Yvonne
Cover "Flut" (Daniel Galera)

Cover „Flut“ (Daniel Galera)

Einen letzten Gefallen, um den man gebeten wird, kann man schlecht ausschlagen, vor allem dann nicht, wenn der Bittende der eigene Vater ist. Der namenlose Protagonist in Daniel Galeras „Flut“ erhält von seinem Vater den Auftrag, seine alte Hündin Beta einschläfern zu lassen, die sehr auf den Vater fixiert ist und die dessen Tod sicher nicht verkraften wird. Alles andere kann und will der Vater selbst erledigen. Überrumpelt von diesem Entschluss und machtlos gegenüber dem angekündigten Selbstmord des Vaters willigt der Sohn ein, und da es das letzte Mal ist, dass die beiden sich sprechen werden, lässt der Vater sich dazu hinreißen, ein Familiengeheimnis zu lüften. Er erzählt alles, was er über den Verbleib des verschwundenen Großvaters weiß, der nach dem Tod seiner Frau nach Garopaba, in ein kleines Fischerdorf auf dem Weg zum Touristenort, ging und nie zurückkehrte. Angeblich soll er dort von der nicht besonders fremdenfreundlichen Bevölkerung getötet worden sein, doch eine Leiche wurde nie gefunden. Mehr noch als diese mysteriöse Geschichte beeindruckt den Sohn allerdings die Tatsache, dass er dem Großvater zum Verwechseln ähnlich sehen soll, denn mit Gesichtern hat er selbst ein Problem. Er leidet an Gesichtsblindheit, einer neurologischen Krankheit, die es ihm unmöglich macht, sich an Gesichter zu erinnern, nicht mal an sein eigenes.


 

Auf der Suche nach Herkunft und Identität

So richtig Wort hält er nicht, und er macht sich deswegen auch Vorwürfe, doch die Hündin einschläfern zu lassen, die die letzte Verbindung zum toten Vater ist, bringt er einfach nicht übers Herz. Stattdessen bricht er in seinem Heimatort Porto Alegre die Zelte ab, verkauft und verschenkt alles, was nicht in seinen Wagen passt, und macht sich gemeinsam mit Beta auf den Weg nach Garopaba, um dort einen Neuanfang zu versuchen und gleichzeitig an die Vergangenheit anzuknüpfen und das Rätsel um seinen Großvater zu lösen. Seine Krankheit ist zwar keine gute Voraussetzung dafür, in einem kleinen Dorf zu leben, in dem jeder jeden kennt und in dem man Fremden skeptisch bis feindselig gegenüber steht, doch bleibt er ja ohnehin sein Leben lang ein Fremder, egal, wo er ist. Also lässt er sich nicht davon abhalten, sich seinen Traum, am Meer zu wohnen, zu erfüllen, und er findet sogar einen Freund vor Ort, einen Job als Schwimmlehrer, und er lernt eine Frau kennen, die er mag. Doch sobald er Fragen nach seinem Großvater, dem „Gaúcho“, stellt, reichen die Reaktionen der Bewohnr von beharrlichem Schweigen bis hin zu mehr oder weniger versteckten Drohungen.

Flut Daniel Galera

„Flut“ ist die Geschichte einer Suche nach sich selbst, in der es für die Hauptfigur auf Grund der Gesichtsblindheit noch wichtiger scheint, einen Anknüpfungspunkt an die eigenen Herkunft zu finden. Dabei passiert das meiste innerhalb der Hauptfigur, während sie sich in Garopaba einrichtet und langsam ein Teil des beschaulichen Städtchens wird. Das Leben an der Küste ist dabei so detailreich beschrieben, dass man das Gefühl hat, selbst vor Ort zu sein und die Bewohner durch die Augen des Fremden, der jeden immer wieder zum ersten Mal sieht, zu beobachten.

„Flut“ ist der erste Roman von Daniel Galera, der ins Deutsche übersetzt wurde. In Brasilien ist er bereits länger im Literaturbetrieb erfolgreich, gründete mit zwei Freunden einen eigenen Verlag, schrieb vier Romane, die mit verschiedenen brasilianischen Literaturpreisen ausgezeichnet wurden, und übersetzte Romane von Zadie Smith, Jonathan Safran Foer und Irvine Welsh.

„Flut“ ist am 19. August 2013 auf Deutsch erschienen.

Infos zum Buch

Flut
(Barba ensopada de sangue)
Daniel Galera
423 Seiten
Erstausgabe 2013


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