Da ich Krimis zwar lese, aber erst, wenn ich mit allem anderen durch bin, wäre ich über „Cheng“ wahrscheinlich nie gestolpert. Doch dann habe ich Heinrich Steinfest bei der LIT.Cologne 2012 im Werkstattgespräch gesehen, wo er erzählte, dass er eigentlich gar nicht wirklich Krimis schreibt, sondern Romane, die eher zufällig einen kriminalistischen Plot haben. Und dass der Anspruch, sprachliche Bilder zu finden, philosophische Betrachtungen anzustellen und Landschaften zu beschreiben, auch in einem Krimi umgesetzt werden kann. Schon das fand ich so spannend und überzeugend, dass ich nach der Veranstaltung sofort in die Buchhandlung gelaufen bin und mir zwei Bücher von Heinrich Steinfest gekauft habe: Cheng und Die feine Nase der Lilli Steinbeck, über die der Autor in seinem Werkstattgespräch viel gesprochen hatte.
Erfolgloser Privatdetektiv Cheng
Markus Cheng ist Privatdetektiv, aber eigentlich kein wirklicher, denn es mangelt ihm an Fällen. In seinen Beruf ist er mehr oder weniger hineingestolpert, und hauptsächlich führt er kleinere Beschattungen durch, um die Treue oder Untreue der Lebensgefährten seiner Auftraggeber zu beweisen. Dass seine Eltern Chinesen waren und er – obwohl er Wiener ist und kein Wort Chinesisch spricht, ja nicht einmal in China einen Urlaub verbracht hat – immer für einen Chinesen gehalten wird, hilft nicht bei der Auftragssuche. Für mögliche Klienten ist sein Äußeres einfach zu auffällig. Und seinen ersten wirklich Fall verbockt er auch noch: Sein Klient, der sich durch eine plötzlich in seiner Wohnung aufgetauchte und wieder verschwundene Frau bedroht gefühlt hatte, wird ermordet, und bei ihm wird eine Nachricht gefunden: „Forget St. Kilda“. Damit ist Cheng Teil des Kriminalfalls: Sein Klient soll nicht das einzige Opfer bleiben, und der nächste auf der Liste scheint Cheng selbst zu sein.
Ungewöhnlicher Krimi
„Cheng“ ist in der Tat ein ungewöhnliches Buch. Man merkt, dass Heinrich Steinfest viel Wert auf seine Sprache und auf die Bilder legt, die er verwendet. Und dass er einen kritischen Blick auf die Wiener Gesellschaft hat. Ironisch-süffisant und wohl ein wenig überzogen werden die Eigenheiten der Wiener oder der Österreicher im Allgemeinen dargestellt. Die Auflösung des Kriminalfalls hält keine allzu großen Überraschungen bereit, dafür die Entwicklung der Figur Cheng um so mehr. Irgendwo zwischen satirisch und düster liegt diese Erzählung, dabei spannend und natürlich witzig. Und immer wieder geht Heinrich Steinfest schonungslos mit seinen Figuren ins Gericht – allen voran mit Cheng, dem der Fall zusehends seelischen und körperlichen Schaden zufügt. Und wie Heinrich Steinfest auch sagte – eher ein Roman mit Krimi-Plot als ein „reiner“ Krimi. Und fürs nächste Mal weiß ich: Wenn ich Krimis lese, dann solche.
Infos zum Buch
Cheng
Heinrich Steinfest
Erschienen 2007 bei Piper, München
272 Seiten