Ich wusste über Die fabelhaften Schwestern der Familie Cooke nichts außer dem Titel und der Nominierung für den Man Booker Prize 2014, bevor ich das Buch las, und allen, die sich eine kleine Überraschung nicht entgehen lassen wollen, empfehle ich, hier aufzuhören zu lesen, meiner Lese-Empfehlung zu vertrauen, und gleich mit dem Roman anzufangen. Denn über Die fabelhaften Schwestern der Familie Cooke kann man kaum schreiben, ohne diese Überraschung vorwegzunehmen. Allen anderen sei versichert, dass das Buch nichts an Tiefe und Melancholie verliert, wenn man diese eine Sache vorher weiß – und man erfährt sie ohnehin relativ früh.
Rosemary Cooke fällt es schwer, sich an der Uni einzuordnen und Freunde zu finden. Obwohl sie bereits ein paar Jahre mal dies, mal das studiert, hat sie so gut wie keine Freunde, und der Draht zu ihrer Familie ist auch nicht besonders ausgeprägt. Zurückführen lässt sich das darauf, dass beide Geschwister von Rose – der ältere Bruder Lowell und die gleichaltrige Schwester Fern – aus Roses Leben verschwunden sind: Fern wurde von den Cookes weggegeben, als sie fünf Jahre alt war, Lowell verschwand sechs Jahre später mit 17 auf Nimmerwiedersehen. Vor allem die Erinnerung an Fern unterdrückt Rose, denn sie hat das Gefühl, dass Ferns Verschwinden mit ihr selbst zu tun hat.
Als Rose an der Uni Harlow kennenlernt, eine temperamentvolle, alle soziale Regeln sprengende Kommilitonin, hat Rose zum ersten Mal seit Jahren das Gefühl, eine echte Verbindung zu einem Mitmenschen herstellen zu können, auf einer Wellenlänge zu sein und zu verstehen, wie und warum dieser Mensch so fühlt und handelt, wie er es nun mal tut. Rose stellt es irgendwann selbst fest: Harlow erinnert sie an Fern. Fern, die wild war, unbekümmert, sich nicht an gesellschaftliche Regeln hielt und die – und hier kommt auf Seite 77 der englischen Originalausgabe die angekündigte Überraschung – ein Schimpanse ist. Denn Rose und Fern waren als Kinder Teil eines Experiments, in dessen Rahmen versucht wurde, Fern menschlich zu sozialisieren, und ihr Einfluss auf Roses Entwicklung untersucht wurde.
Die fabelhaften Schwestern der Familie Cooke: Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit
Die fabelhaften Schwestern der Familie Cooke befasst sich vor allem mit Rose während ihres jungen Erwachsenenlebens, mit den Zweifeln, die sie sich selbst und ihrer Erinnerung gegenüber hat, Vorwürfen, die sie sich macht und dem Hadern mit sich und der Familie, der sie – außer ihrem Bruder – das Verschwinden von Fern nachträgt. Durch die enge Bindung zu Fern und ihre Einbindung in die Familie als ganz normales Familienmitglied stellen sich ganz automatisch Fragen nach Unterschieden und Ähnlichkeiten – nicht nur zwischen Fern und Rose, sondern zwischen Mensch und Tier im Allgemeinen. Lowell, der durch Ferns Weggang aus der Familie nach und nach zum militanten Tierschützer wird, nimmt die extremste Position ein, in der er selbst seinen Vater, den Verhaltenspsychologen, weder ernst nehmen noch nachvollziehen kann.
Doch auch die Besonderheit von Roses und Ferns Kindheit bildet einen wichtigen Strang der Geschichte, und der kunstvoll-asynchrone Aufbau der Erzählung – es wird von allen Seiten und Zeiten gleichzeitig erzählt – lässt einen mit der Fünfjährigen genau so mitfiebern und -leiden wie mit der Zwanzigjährigen.
Die fabelhaften Schwestern der Familie Cooke ist ein sprachlich wundervoller, absolut berührender und nachdenklich machender Roman darüber, wer wir sind und wen wir sehen, wenn wir in den Spiegel schauen, darüber, dass wir uns erst definieren können im Kontext unserer Umwelt, die aus Mitmenschen, aber auch anderen Mit-Lebewesen besteht. Über die Nominierung für den Man Booker Prize von Karen Joy Fowler freue ich mich entsprechend sehr und drücke auch ihr die Daumen für nächste Woche. Den PEN/Faulkner Award 2014 gewann der Roman bereits.