Der kleine Ort Worpswede nordöstlich von Bremen ist vor allem für seine Ende des 19. Jahrhunderts gegründete Künstlerkolonie bekannt. Noch heute gibt es überdurchschnittlich viele Galerien in der niedersächsischen Gemeinde, doch die Blütezeit der Kolonie war um das Jahr 1900. Heinrich Vogeler, Künstler und Kunsthandwerker, lässt sich nach ersten Erfolgen und mit Hilfe einer Erbschaft in Worpswede nieder, baut den Barkenhoff um und wird somit zum Magneten für andere Künstler. In der norddeutschen Landschaft suchen jedoch nicht nur Maler und Bildhauer ein natürliches und ursprüngliches Zuhause, sondern nach einer ersten Begegnung in Italien steht eines Tages Rainer Maria Rilke vor Vogelers Tür. Vogeler, der in Rilke einen Seelenverwandten sieht, lädt den noch unbekannten Dichter zu sich ein und nimmt eine Art Mentorenrolle für ihn ein. Er bringt ihn zum Insel-Verlag, macht ihn mit den anderen Künstlern bekannt und stellt ihm sogar seine künftige Frau, die Bildhauerin Clara Westhoff, vor. Nach wenigen Jahren jedoch ist diese innige Freundschaft zerbrochen, Rilke sieht auf den ehemaligen Förderer herab, weil dessen Kunst in seinen Augen nur dekorativ ist, und Vogeler ist durch die Undankbarkeit des ehemaligen Freunds vor den Kopf gestoßen. Ein Bild Vogelers, das ihm eine Ehren-Medaille und viel Geld einbringt, zeigt dieses Zerwürfnis: Das Konzert oder Sommerabend zeigt die Gruppe der Worpsweder Künstler – allerdings ohne Rilke, dessen Stuhl leer bleibt, so dass der Titel „Konzert ohne Dichter“ aus Vogelers Sicht passender wäre. Am Vorabend der Ehrung lässt Vogeler die Freundschaft mit dem Dichter Revue passieren, vom ersten unausgesprochenen Verständnis unter Künstlern bis hin zur Distanz und Kühle einer vergangenen Freundschaft.
Konzert ohne Dichter: Rilke fehlt im Bild
Natürlich ist Konzert ohne Dichter ein Roman mit vielen fiktiven Elementen, die grundlegende Geschichte basiert jedoch auf Tagebüchern und Veröffentlichungen von Rilke und Vogeler. Die Geschichte wird geschildert aus der Perspektive Vogelers, und so erlebt man Rilke als selbstverliebten Schmarotzer, der den Frauen hinterherjagt und – zumindest damals noch – schreckliche Gedichte schreibt, die er als Sammelband mit dem deutlichen Titel „Mir zur Feier“ herausbringt. Die Künstlerkolonie wird durch den Skandal-Dichter ziemlich durcheinander gebracht, und dass auf besagtem Bild alle Beteiligten traurig bis unglücklich gucken, hat laut Autor Klaus Modick ebenfalls einen guten Grund: Rilke hatte ein Talent dafür, es sich mit allen ihn umgebenden Menschen zu verscherzen.
Konzert ohne Dichter ist nicht nur aus der Perspektive Vogelers geschildert, sondern auch in seinem Stil: Farben werden immer wieder plastisch geschildert, die Moor-Landschaft spielt eine wichtige Rolle als alles umfassendes Ganzes im Roman und das Ländlich-Natürliche, das sich in Vogelers Bildern findet, hört man in plattdeutschen Passagen, in denen die Worpsweder Einwohner zu Wort kommen.
In Summe gibt der Roman einen spannenden und nachempfindbaren Einblick in eine mehr als hundert Jahre zurückliegende Zeit und erzählt dabei die Geschichte einer zerbrechenden Freundschaft zwischen zwei Künstlern. Darüber hinaus erfährt man einiges über Rilke, von dem man nach der Lektüre des Buchs noch mal einen ganz anderen Eindruck hat.