So richtig erwachsen wird man erst, wenn man an die natürlichen Grenzen des Schicksals stößt, wenn man am eigenen Leib spürt, dass nicht alles im Leben nach Wunsch verläuft und man Entscheidungen, die man getroffen hat, auch mal bereuen wird. Für Julian, der im Sommer 2004 22 Jahre alt ist, gab es noch keine wirkliche Gelegenheit, erwachsen zu werden. Das Leben auf dem Land mit seinen Eltern und den drei Geschwistern hat ihn geradewegs nach Wien zum Studium der Veterinärmedizin geführt, wo er seine erste langjährige Freundin Judith kennengelernt hat. Doch gerade in diesem Sommer ist die Beziehung mit Judith vorbei, und Julian wundert sich noch darüber, obwohl er es war, der eine Trennung immer mal wieder vorgeschlagen hat. Die plötzliche Änderung seines längst vorgezeichnet geglaubten Wegs lassen Julian hilf- und orientierungslos zurück. Da er das letzte Jahr bei Judith gewohnt hat, steht er nun ohne Bleibe da. Zu allem Überfluss verlangt außerdem Judiths Vater die Hälfte der Miete für das vergangene Jahr – die der Student natürlich nicht besitzt.
In der WG seiner Schwester, die diese gerade verlassen hat, kommt Julian unter. Mit seiner Mitbewohnerin Nikki versteht er sich mal besser und mal schlechter, aber immerhin halten sich seine Kosten so in Grenzen. Als Julian über seinen Freund Tibor dann noch an einen Ferienjob kommt, nimmt er gerne an: Bei Professor Beham, ebenfalls Tiermediziner, muss ein Zwerg-Flusspferd versorgt werden, das auf einem illegalen Tier-Transport beschlagnahmt wurde und nun übergangsweise auf dem Grundstück des Professors lebt. Da Beham auf Grund eines Rückenmarktumors an den Rollstuhl gefesselt ist, kann er das Tier nicht selbst versorgen.
Die Aussicht auf einen einigermaßen leichten Job und die Schulden gegenüber Judiths Vater lassen Julian die Arbeit sehr motiviert aufnehmen. Doch die Stelle hat noch einen weiteren Vorteil: Er lernt Professor Behams Tochter Aiko kennen, die ein paar Jahre älter ist als er und für die er sich bald interessiert.
Selbstporträt mit Flusspferd: Behäbige Reise ins Erwachsenendasein
Julian ist mit seinen 22 Jahren deutlich älter als der durchschnittliche Protagonist eines Coming-of-Age-Romans, und doch sind seine Schwierigkeiten genau die eines Heranwachsenden: Entschedungen für sich selbst zu treffen, statt auf eine Richtungsvorgabe anderer zu warten, das Leben in die eigenen Hände zu nehmen und die Konsequenzen des eigenen Handelns zu tragen, sind Dinge die für den jungen Mann neu und alles andere als selbstverständlich sind. Auch selbst sagt er immer wieder, dass er eigentlich nicht erwachsen werden möchte. Die Unfertigkeit der Jugend ist für ihn ein Zustand, den er am liebsten dauerhaft erhalten möchte. Das Flusspferd, das in seiner rückhaltlosen Akzeptanz aller Gegebenheiten wie ein kleiner Buddha daher kommt, scheint ihm durchaus nachahmenswert.
Selbstporträt mit Flusspferd ist einerseits ein Roman über das Erwachsenwerden, andererseits aber auch eine Ode an die Langsamkeit, an das Sich-Zeit-Nehmen. So richtig viel passiert nicht in diesem Sommer 2004 in Wien, und die eigentlichen Ereignisse des Jahres dringen über den Fernseher hinein in eine eher beschauliche Welt. Doch in Julian entwickeln sich natürlich die Dinge, auch, wenn er dafür länger braucht als seine Altersgenossen. Dass die Beziehung zu Judith nicht funktioniert hat, scheint auch am unterschiedlichen Tempo der beiden zu liegen, doch am Ende – und das ist vielleicht das entscheidende – wählt Julian einfach seine eigene Geschwindigkeit, die er braucht um anzukommen im Leben.
Der Roman beginnt mit einer kleinen Rahmenhandlung, die jedoch nicht zu Ende geführt wird: Judith kommt zehn Jahre nach der Trennung in die Tierarzt-Praxis, die Julian mittlerweile führt, und bringt einen kranken Uhu vorbei. Die Tatsache, dass er sie zunächst nicht erkennt und dass er sich damit abfindet, nicht zu wissen, was aus ihr geworden ist, zeigt, dass Julian am Ende doch erwachsen geworden ist – wenn auch langsamer, ohne sich von der Außenwelt beirren zu lassen und mit mehr Bedacht, also fast so wie ein Flusspferd.