So ungewöhnlich ist die Geschichte von Kasper und seiner Freundin auf den ersten Blick gar nicht. Viele Romane und Hollywood-Filme sind nach genau diesem Muster gestrickt. Ein Paar trennt sich, beide halten die Einsamkeit nicht aus, sie kommen wieder zusammen und alles wird dann doch nur noch schlimmer. So auch bei Kasper und Kaspers Freundin (Kasper ist eine von nur zwei Figuren, die im Roman einen Namen tragen). Sie beschließen, fortan getrennte Wege zu gehen, weil die Beziehung nicht so gut gelaufen ist, wie sie es erwartet hatten. Für beide hält das Leben schnell neue Aufregung bereit. Kaspers Freundin trifft Joseph, der relativ schnell bei ihr einzieht, die Miete übernimmt und sie dazu bringen möchte, ihn nachts auf Vampirjagd zu begleiten. Kaspers Freundin, die mit sich selbst ohnehin nicht so richtig etwas anzufangen weiß und vom Vater und ihrer Therapeutin zusätzlich verunsichert ist, macht gerne mit und findet ihr neues Leben großartig.
Für Kasper dagegen gibt es nicht so gute Nachrichten. Sein Großvater stirbt, wie es aussieht, aus Einsamkeit. Kasper erbt das Haus und zieht kurzerhand selbst ein. In seiner Trauer verfällt er selbst in eine Depression, muss sich aber gleichzeitig gegen einen Notar und eine Gruppe Monarchisten wehren. Das größte Rätsel bietet jedoch ein älterer Mann mit violetter Haut, der kurz nach Kaspers Einzug vorbeischaut. Für einen unglaublich hohen Betrag kauft er Kasper dessen geliebte Geige ab, was diesen zwar reich, aber umso einsamer macht. Der violette Herr kommt erst mal nicht wieder, doch schaut er auch bei anderen einsamen Menschen vorbei, um diesen die liebsten Gegenstände abzukaufen. Joseph ist er kein Unbekannter. Bei seiner nächtlichen Suche nach Vampiren ist es dieser Herr, den Joseph verfolgt.
Kaspers Freundin sucht sich selbst und findet immer jemand anderen
Auch als Kaspers Freundin sich entschließt, Joseph zu verlassen und mit ins Haus von Kaspers Großvater zu ziehen, bleiben die beiden einsam und depressiv. Sie leben eher aneinander vorbei als miteinander, und Kaspers Freundin ist beständig auf der Suche nach sich selbst. Der violette Herr, der laut Joseph schon einige einsame Opfer gefunden hat, scheint hier eine gute Angriffsfläche zu finden.
Dass Kaspers Freundin den ganzen Roman über namenlos bleibt, wundert nicht. Die Bezeichnung „Kaspers Freundin“ ist bei ihr Programm: Sie scheint keine eigene Identität, keine eigene Rolle zu haben, sondern ist immer jemandes Geliebte, Tochter oder eben Freundin und definiert sich daher nie über sich selbst, sondern über eine identitätsstiftende andere Person. Selbst als sie endlich etwas eigenes gefunden zu haben scheint, kann sie es gegenüber anderen nicht durchsetzen.
Kaspers Freundin handelt zwar unter anderem von einem Vampir, ist allerdings eher eine Geschichte über Beziehungen und Einsamkeit als eine Vampirgeschichte. Im Zentrum steht die Beziehung zwischen Kasper und seiner Freundin, die nicht so funktioniert wie sie soll. „funktionieren“ beschreibt es auch genau: Die Erwartungen, die die beiden an ihre Beziehung haben, sind mechanistischer Natur. Sie wollen gefälligst glücklich sein, Freude haben und in ihrer Beziehung all das finden, was ihr Leben lebenswert machen könnte. Gleichzeitig ist es aber vor allem Kaspers Freundin nie genug. Ilsebill gleich will sie immer mehr, mehr Croissants zum Frühstück, mehr Wein zum Abendessen (am besten so viel, dass man sich nachher aus dem Fenster übergibt), mehr Erleben und mehr Extravaganz. Um einander das Leben auszusaugen brauchen die beiden keinen Vampir. Was beiden bleibt, ist Einsamkeit und Depression – und ganz sicher kein Happy End.
Kaspers Freundin ist der Debütroman von Luise Boege, der durch seine ungewöhnliche Vampir-Story genau so überzeugt wie durch seine teils minimalistische Sprache. Vor allem aber ist der Roman eine ernste und traurige Beziehungsgeschichte, in der der geliebten Person die alleinige Verantwortung für das eigene Glück auferlegt wird – was von vornherein zum Scheitern verurteilt ist.