Chemiker und Dichter haben manchmal etwas gemein: Sie gehen den Dingen auf den Grund, zerlegen die Wirklichkeit in ihre kleinsten Teile und versuchen, zu erklären, woraus die Welt gemacht ist.
So oder so ähnlich mag Steffen Popp gedacht haben, als er seinen Gedichtband 118 zusammengestellt hat. Denn 118 Elemente hat das Periodensystem der Elemente, das die Welt in ihre Einzelheiten zerlegt. Und 118 Gedichte hat Popp zusammengetragen, um die Elemente seines eigenen Lebens zu analysieren und darzustellen.
Dabei kommt dieser Gedichtband nicht nur bezogen auf den Titel völlig unlyrisch daher. Eingeschlagen in ein Plakat, das an die Periodensysteme aus dem Chemie-Raum der eigenen Jugend erinnert, aber eben eigene Elemente (Fe wie Fenster, He wie Herbst) enthält, wirkt der Band fast wie ein Schulbuch.
Die Gedichte sind formal alle identisch aufgebaut. Jedes nimmt eine Seite ein, umfasst zehn Zeilen, alle nahezu gleich lang, und der meist aus einem einzigen Wort bestehende Titel steht wie ein Absender unter dem Text. Blättert man den Band durch, findet man nahezu perfekte Text-Quarate auf jeder Seite. Manche der Gedichte sind umgeben von zugehörigem Text, zu manchen gibt es Anmerkungen im Anhang. Würde nicht „Gedichte“ vorne auf dem Umschlag stehen, wüsste man zumindest beim Durchblättern nicht, womit man es zu tun hat.
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118 von Steffen PoppErschienen 2017 bei kookbooks | Anzeige |
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118 von Steffen PoppErschienen 2017 bei kookbooks |
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118 Gedichte über die Welt
Beim Lesen der Gedichte wird es dann doch noch lyrischer. Die „Elemente“, die Stefan Popp in Gedichtform zusammenstellt, reichen von Libellen über den Mond bis zur Sphinx, und natürlich darf auch die Liebe nicht fehlen.
Du ich der Abend trunken von Liebe faseln
ein Leib ein Geist auf einer Couch, Cocktail
aus Vergangenheit, die dich verstellt, und
Jetzt, das dich ständig verkehrt herum zeigt.
118 ist aktuell nominiert für den Preis der Leipziger Buchmesse 2017. Damit schaffte es zum dritten Mal in Folge ein Gedichtband auf die Shortlist des Literaturpreises. Die Distanz, die sich aus der bewussten „Wissenschaftlichkeit“ der Form des Gedichtbands ergibt, ist sicher nicht für jeden Lyrik-Fan das Richtige. Wer jedoch einen Zugang zu diesem Band findet, wird belohnt durch eine ganz eigene Variante dessen, was die Welt in ihren Teilen ausmacht – und zusammenhält.