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Ein fauler Gott von Stephan Lohse

von Yvonne

Ben ist 11, als sein jüngerer Bruder Jonas stirbt. Völlig unerwartet bricht die Katastrophe über die kleine Familie ein: Bei einem Nachmittag im Schwimmbad hat Jonas einen Anfall, kommt ins Krankenhaus und stirbt zwei Wochen später, ohne dass irgendjemand eine Erklärung dafür hätte. Bens Mutter Ruth fällt in Depression und Schuldgefühle, Vater Hans hat sich schon vor einiger Zeit von der Familie verabschiedet und steht von Frankfurt aus hauptsächlich noch in finanziellen Fragen zur Verfügung.

Ben ist in seiner Trauer genau so allein wie Ruth. Aus Rücksicht auf seine Mutter versucht er, so gut es geht, alleine zurechtzukommen. Dinge, für die er keine Erklärung erhält, reimt er sich einfach selbst zusammen. Und es sind viele Dinge, die ihm niemand erklärt.

Denn nicht nur Jonas‘ Tod bereitet Ben Probleme. Während er auf der einen Seite den Bruder loszulassen versucht, brechen all die Entwicklungen und Veränderungen der Pubertät über ihn herein. Neue Freunde, die erste Freundin, erste sexuelle Entdeckungen – all dies erlebt Ben trotz oder wegen seiner Trauer um Jonas ganz bewusst.

Gott ist eine Art Herr Behrends des Himmels, der die Seelen an ihren Armen packt, bis der Schmerz in ihnen pocht, und sie zum Arbeiten in die äußersten Ecken des Himmels verbannt, wo sie nackt und mit verdreckten Gesichtern aufräumen müssen und putzen und Gottes Sachen durch die Gegend schleppen. Gott selbst ist faul in seiner Allmacht, und es bereitet ihm Freude, den Brüdern die Brüder zu stehlen und den Müttern ihre Kinder.

Ein fauler Gott: Einfühlsame und treffende Beschreibung der Trauer

Ruth dagegen ist in der Trauer um ihren jüngeren und der Verantwortung für ihren älteren Sohn hoffnungslos überfordert. Immer wieder rafft sie sich Ben zuliebe auf, doch auch Monate nach Jonas‘ Tod überschattet dieser alles andere.

Inzwischen ist Jonas gestorben. Er wird auch morgen gestorben sein und in der nächsten Woche. Im nächsten Monat. Im nächsten Jahr. Er ist tot und klug, denkt Ruth. Ihr Neid auf Jonas frisst sich allmählich an die Oberfläche.

Stephan Lohse schreibt in seinem Debütroman Ein fauler Gott einfühlsam die Trauer sowohl von Ruth als auch von Ben. Die Geschichte ist abwechselnd aus der Sicht der beiden geschrieben, wobei die Passagen Bens bei Weitem überwiegen. Treffsicher und absolut nachvollziehbar schildert Lohse die unterschiedlichen Empfindungen des Verlusts, die Mutter und Sohn zwar einen, aber dennoch dazu bringen, gemeinsam nebeneinander einsam zu sein.

Dabei ist Ein fauler Gott keineswegs rührselig und drückt auch nie auf die Tränendrüse (obwohl das bei dem Thema sicher möglich gewesen wäre). Stattdessen erfährt man sehr nah und nahbar Ruths Orientierungslosigkeit und Bens ungebrochenen Wunsch, etwas Gutes in der Welt zu entdecken – sei es im Kindererholungsheim, bei seinem neuen besten Freund Chrisse oder bei einem Nachbarn, der genau so allein zu sein scheint wie Ben und seine Mutter.

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Ein fauler Gott von Stephan Lohse

Erschienen 2017 bei Suhrkamp Verlag
336 Seiten, 22,00 Euro

Bei Amazon bestellen           Bei Thalia bestellen

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Erschienen 2017 bei Suhrkamp Verlag
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Daneben ist Ein fauler Gott natürlich auch ein Roman über das Erwachsenwerden, und die Erfahrungen, die Ben macht und ganz unvoreingenommen teilt, sind oft zum Brüllen komisch und nehmen dem Roman – ebenso wie Ben – das absolut Tragische.

Ein fauler Gott ist eins der besten Bücher, das ich in diesem Jahr gelesen habe, und ich lege es jedem ans Herz, der Bücher über das Erwachsenwerden oder über Verlust mag – oder eben einfach gute Geschichten.

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