Was braucht man, um wirklich zu sich selbst zu finden? Muss man alles verlieren, bevor man weiß, wer man ist? Und wie sehr hängt die eigene Identität davon ab, woher man kommt, wer die Eltern sind? Um diese Fragen dreht sich „Mond über Manhattan“, in der ein vom Leben überforderter junger Mann durch viele Zufälle zu einem Punkt gelangt, an dem, wie er sagt, sein Leben erst wirklich beginnt.
Trauer bis zur Selbstaufgabe
Marco Stanley Fogg, Protagonist und Ich-Erzähler, kommt mit 18 zum Studium nach New York. Sein Appartment teilt er mit mehr als 1.000 Büchern, die ihm sein Onkel Victor zum Abschied geschenkt hat. Der Onkel ist Marcos einziger lebender Verwandter – die Mutter starb bei einem Autounfall, seinen Vater hat er nie getroffen -, und so ist es nicht verwunderlich, dass Marco völlig aus der Bahn geworfen wird, als Victor auch noch stirbt. Das wenige Geld, dass sein Onkel ihm hinterlässt, verwendet der junge Mann für die Beerdigung. Anschließend weiß er nicht, wie er sich weiterhin finanzieren soll. Einen Job zu suchen, kommt für ihn nicht in Frage, schließlich ist er schon genug damit beschäftigt, einfach nur zurechtzukommen. Also verkauft er nach und nach alles, was sich irgendwie zu Geld machen lässt, auch die Bücher des Onkels, spart beim Essen und schafft es trotzdem nicht, den Rausschmiss aus seinem Appartment zu verhindern, als er die Miete nicht mehr zahlen kann.
Einen Tag bevor er obdachlos wird, entschließt sich Marco seinen Studienkollegen David Zimmer um Hilfe zu bitten. Doch Zimmer ist mittlerweile umgezogen, in seiner alten Wohnung sind Fremde, die Marco zum Frühstück einladen. So lernt Marco Kitty Wu kennen, die sich ganz offensichtlich sofort in ihn verliebt. Doch ohne Zimmers Hilfe stehen ganz andere Probleme vor dem Studenten: Er verliert seine Bleibe und lebt von da an im Central Park, wo er sich aus Mülleimern ernährt. Doch seine Rettung erscheint in Form von Kitty Wu, und mit ihrer und David Zimmers Hilfe schafft Marco es wieder einigermaßen auf die Füße. Sogar einen Job findet er, als Vorleser bei dem verschrobenen Thomas Effing, dessen Lebensgeschichte irgendwie mit Marcos zusammenhängt und die diesen dazu bringt, sein Leben noch einmal in eine ganz andere Richtung zu lenken.
Typisches Paul Auster-Buch
„Mond über Manhattan“ ist Paul Austers zweiter Roman und sehr typisch für seine Bücher: unwahrscheinliche Zufälle und die Neigung, sich einfach treiben zu lassen, bringen die Hauptfigur von einem Ort zum anderen, New York als ein wichtiger Schauplatz spielt eine Rolle und es gibt einige Parallelen zwischen Marco Fogg und Paul Auster, die nicht beim selben Geburtsjahr enden. Dabei ist „Mond über Manhattan“ klar und einfach geschrieben, die Geschichte ist spannend, obwohl man eigentlich im ersten Absatz schon erfährt, was geschehen wird, und am Ende ergibt alles zusammen betrachtet auch einen größeren Sinn.
Natürlich spielt der Mond im Buch eine Rolle, wie bereits im ersten Satz klar wird, dennoch finde ich die Titeländerung von „Moon Palace“ (einem chinesischen Restaurant, das in der Geschichte eine Rolle spielt) in „Mond über Manhattan“ für die deutsche Ausgabe unnötig, denn schließlich spielt der Roman in Teilen auch außerhalb New Yorks.
Davon abgesehen ist „Mond über Manhattan“ eine toll erzählte, sehr gut lesbare Geschichte über die Suche nach sich selbst und die Unwägbarkeiten und überraschenden Verläufe des Lebens.
Infos zum Buch
Mond über Manhattan (Moon Palace)
Paul Auster
416 Seiten
Erstausgabe 1989
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