Wolfgang Herrndorfs Roman tschick wimmelt nur so von ungewöhnlichen Figuren, die man nicht mehr vergisst, doch die wohl unvergesslichste und unkonventionellste ist das Mädchen Isa Schmidt, das Maik und Tschick auf einer Müllkippe treffen und das die beiden Jungs ein Stück auf ihrem Weg begleitet. Dieses Mädchen – vorlaut, altklug, fantasiebegabt, gebildet und oft erschreckend erwachsen – gab einige Rätsel auf. Wo kommt sie her, warum ist sie allein unterwegs und was ist ihre Geschichte? Im letzten Roman, an dem Herrndorf gearbeitet hat und den er auf Grund seiner Erkrankung nicht mehr fertig stellen konnte, erzählt Isa selbst ihre Geschichte, in der Maik und Tschick natürlich auch eine Rolle spielen, allerdings eine Nebenrolle wie Isa in deren Geschichte. Marcus Gärtner und Kathrin Passig, Freunde Herrndorfs, haben das Material des Autors auf dessen Wunsch hin gesichtet, sortiert und redigiert und als unvollendeten Roman – der aber definitiv kein Fragment ist – nun herausgegeben.
Isa lebt in einer Anstalt, und gleich zu Beginn des Romans macht sie von dort die Biege – die Pfleger schauen eh nicht und die Eltern, von denen man nicht viel erfährt, sind auch nicht da. Also schlüpft Isa hinter einem LKW aus dem kurz geöffneten Tor und begibt sich auf einen Road Trip zu Fuß, im Gepäck ihr Tagebuch, zwei Tabletten, irgendetwas in ihrer rechten Hosentasche, aber leider keine Schuhe. Also macht sie sich barfuß auf den Weg ins Ungewisse und hinterfragt dabei auch immer wieder kritisch ihren eigenen Geistenszustand.
Verrückt sein heißt ja auch nur, dass man verrückt ist, und nicht bescheuert.
Anders als tschick ist Bilder deiner großen Liebe eher dialogarm; schließlich ist Isa auch über weite Strecken ihrer Reise allein unterwegs. Vieles spielt sich in ihrem Kopf ab, Gedanken, aber auch ganze Situationen, die so unwahrscheinlich sind, dass Isa sie geträumt oder sie sich ausgedacht haben muss.
So schön ist alles, wenn es schön ist, aber meistens ist es nur in meinem Kopf.
Bilder deiner großen Liebe: Road Trip barfuß
Isas Welt ist bevölkert von Männern und Jungen, die nicht unbedingt das Beste für sie wollen, und aus den Erlebnissen, Erinnerungen und Vorstellungen des Mädchens kann man nur ahnen, was in ihrem Leben schief gelaufen sein muss. Maiks relativ behütetes Leben jedenfalls hat sie sicher nicht geführt.
Immer wieder schweift Isa auch in die Erinnerung ab, gibt Einblicke in ihre Vergangenheit und lässt durchblicken, woher sie all das weiß, was sicher keine 14jährige außer ihr weiß. Dabei zeigt sie sich stets ehrlich, obwohl sie eine absolut unzuverlässige Erzählerin ist, und verletzlich, obwohl ihre Kämpfernatur dem eigentlich zuwider läuft.
Und er guckte mich auf so eine verschwörerische Art an, und da wusste ich, dass er mich liebte. Das war ein Gefühl, das kannte ich nicht, und da wusste ich nicht, was man da macht.
Mit Isas unvollendeter Geschichte liegt ein Roman vor, der einen mit jedem Satz mitten ins Herz, ins Gesicht oder in die Magengrube trifft, und eine Heldin, die mit ihren 14 Jahren so tief in sich selbst verwurzelt ist, wie man es sich sein Leben lang für sich selbst vornimmt. Dieser unvollendete Roman schließt selbst eine Lücke in einer anderen Geschichte und macht dies so aufrichtig, melancholisch und mitreißend, dass man gleich seine Lieblingsfigur in allen Herrndorf-Büchern findet: ein für sein Alter viel zu erwachsenes Mädchen, das der Welt die Stirn bietet und sich nicht scheut, seine eigenen Ängste einzugestehen.
Das Glück macht nie so glücklich wie das Unglück unglücklich.