Es gibt Geschichten, die sind so traurig, so sinnlos, dass man sie nicht erfinden kann. Und leider auch nicht muss. Wie die Geschichte von Damiano Tamagni, der in Locarno während der Fastnachtsfeier 2008 von drei Jugendlichen zu Tode geprügelt und getreten wurde, ohne dass man sich überhaupt kannte. Und dann gibt es Geschichten, die wirken fast zu absurd, um wahr zu sein, sind es aber trotzdem. Dazu zählt der Bugatti, den Jens Boerlin 2009 aus dem Lago Maggiore barg, nachdem der Wagen mehr als 70 Jahre am Grund des Sees gelegen hatte. Und beide Geschichten hängen miteinander zusammen.
Dea Loher nahm diese wahren Begebenheiten und arbeitete sie in ihrem Debütroman „Bugatti taucht auf“ zu einer Erzählung um, die nun auf der Longlist für den Deutschen Buchpreis 2012 steht. In diesem Roman schildert Loher die Ereignisse, die zu Damiano Tamagnis Tod führten. Und sie erklärt, wie dieses Verbrechen zur Bergung des Bugatti führte.
Sinnloses Verbrechen
In „Bugatti taucht auf“ sind die handelnden Personen andere, doch die grundlegenden Elemente des Romans sind der Wirklichkeit entnommen. Während der Fastnacht ist Luca Mezzanotte mit ein paar Freunden unterwegs. Man trinkt das ein oder andere Bier, zieht von Kneipe zu Kneipe, verliert sich mal aus den Augen. Und irgendwann ist Luca zur falschen Zeit am falschen Ort. Er gerät zufällig in eine Auseinandersetzung, mit der er gar nichts zu tun hat. Doch drei Jugendliche, die selbst nicht wissen, worum es in dem Streit geht, suchen sich Luca aus, um an ihm ihre Wut auszulassen. Sie schlagen auf ihn ein, bis er am Boden liegt – danach treten sie zu. Sie fliehen in die Nacht, werden aber noch bis zum nächsten Morgen verhaftet. Luca stirbt noch in der gleichen Nacht an den Folgen der Tat.
Die Schilderung der Nacht und des Verbrechens ist im Stil eines Gerichtsreports geschrieben, und man liest fassungslos, wie sich die einzelnen Aussagen widersprechen, wie Behauptungen aufgestellt und widerrufen werden und wie kaum Zusammenhang und erst recht keine Erklärung für die Tat zu finden ist.
Versuch, ein Zeichen zu setzen
Doch was hat Lucas Tod mit der Bergung des Bugatti zu tun? Jordi Polar, aus dessen Sicht der Hauptteil von „Bugatti taucht auf“ geschildert ist, reist gerade durch Südamerika, als ihn die Nachricht vom Mord an Luca erreicht. Obwohl er nur lose mit Lucas Vater befreundet ist, hat er das Bedürfnis, sofort alle Zelte abzubrechen und nach Hause zu reisen, um für die Familie da zu sein. Doch als er zurück ist, schafft er es zunächst nicht, zu den Mezzanottes zu gehen. Er kommt sich dumm vor, weiß nicht, was er sagen soll und würde eigentlich nur gerne helfen, den Verlust zu überwinden.
Irgendwann denkt Jori an ein Gespräch mit Luca, in dem es um die Dorflegende ging, dass am Boden des Lago Maggiore seit 70 Jahren ein alter Bugatti lagert. Auch wenn Luca damals davon überzeugt war, dass wahrscheinlich nur Schrott im See lagert, und er ansonsten kein Interesse an der Geschichte hatte, setzt sich Jori in den Kopf, den Bugatti zu bergen, um ihn Luca zu widmen. Als Zeichen. Und weil man sowieso nichts ändern kann, ist ein Zeichen so gut wie das andere und jedes besser als keins.
Umgang mit Verlust
„Bugatti taucht auf“ ist in erster Linie eine Geschichte über Verlust und den Umgang damit. Fast alle Haupt- und Nebenfiguren (darunter auch der berühmte Automobilfabrikant Ettore Bugatti, über den man nebenher einiges erfährt) haben einen ihnen nahe stehenden Menschen verloren und verarbeiten diesen Verlust auf sehr unterschiedliche Weise. Entsprechend stimmt „Bugatti taucht auf“ auch eher melancholisch und nachdenklich – Die Bergung des Bugatti stellt dabei zumindest einen Versuch, aktiv zu werden, dem Verlust und in diesem Falle der Gewalt etwas entgegenzusetzen – wenn auch die Sinnhaftigkeit dieses Versuchs zeitweise durch die Hauptfigur selbst in Frage gestellt wird.
In jedem Fall ein sehr fesselnder und lesenswerter Roman, dem durchaus der „Sprung“ in die Shortlist für den deutschen Buchpreis zu wünschen ist.
Infos zum Buch
Bugatti taucht auf
Dea Loher
204 Seiten
Erstausgabe 2012
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