Einsamkeit ist nie schön, aber besonders schwer zu ertragen ist sie, wenn das eigene Leben gerade richtig durcheinander ist und man eigentlich ständig jemanden bräuchte, dem man sich mitteilen kann. Wenn neue Entwicklungen anstehen, Verluste zu verarbeiten sind und die Orientierung fehlt.
Charlie, Erzähler und Hauptfigur von „Das also ist mein Leben“, ist einsam. Und 15. Und macht gerade viel durch. Das erste Jahr an der High School steht an, und Michael, der einzige und beste Freund, den Charlie hatte, hat sich das Leben genommen. Davon abgesehen, dass er nicht verstehen kann, warum Michael das überhaupt getan hat, macht Charlie sich Vorwürfe. Denn schließlich wäre es doch seine Aufgabe gewesen, für den Freund da zu sein.
Michaels Tod ist nicht der einzige Verlust, den Charlie bisher erlitten hat. Zwar ist es schon einige Jahre her, aber viel zu früh und völlig unerwartet ist auch seine Tante Helen gestorben, für die er immer eine besondere Zuneigung empfunden hat – an Charlies Geburtstag.
Briefe an einen Unbekannten
Weil er nicht so recht weiß, an wen er sich wenden kann, beginnt Charlie, Briefe an jemanden zu schreiben, den er nicht persönlich kennt und von dem man auch nicht erfährt, um wen es sich handelt. Der Gedanke, dass es jemanden gibt, der ihm zuhört, reicht Charlie, um die erste Zeit in der High School zu überstehen. Und die ist nicht immer einfach für den 15jährigen. Er findet keinen richtigen Anschluss, obwohl er einige der Jugendlichen noch aus seiner alten Schule kennt. Aber die Mitschüler haben sich High School-mäßig zu kleinen Erwachsenenimitaten entwickelt, während Charlie mit allem, was in seinem Leben passiert, überfordert ist. Die neuen Verhaltensregeln der Jugendlichen widerstreben ihm, und so richtig anpassen kann er sich nicht. Da er nicht wirklich am Schulleben außerhalb des Unterrichts teilnimmt, verlegt Charlie sich auf das, was er besonders gut kann: beobachten und beschreiben.
Doch die Situation bessert sich für Charlie. Der Erste, der an der Schule nett zu ihm ist, ist sein Englisch-Lehrer, der ihm sogar gestattet, ihn beim Vornamen – Bill – zu nennen. Bill erkennt die Begabung des Jungen und gibt ihm Bücher zu lesen vom „Fänger im Roggen“ über „Wer die Nachtigall stört“ bis zu „On the Road“. Und Charlie wird so nicht nur zum eifrigen und begeisterten Leser, sondern übt sich auch selbst im Schreiben.
Besonders freut es ihn aber, als er endlich zwei Freunde findet. Zwar sind Sam und ihr Stiefbruder Patrick drei Jahre älter als Charlie, aber trotzdem nehmen sie ihn ganz selbstverständlich in ihren Kreis auf. Dass Charlie nicht angepasst ist und vielleicht manchmal etwas schräg, stört die beiden nicht, sie finden es im Gegenteil sogar toll. Und Charlie fühlt sich endlich so angenommen, wie er ist. Dass er sich sofort in Sam verliebt, macht das Ganze natürlich komplizierter.
Authentisches Bild einer Jugend in den Neunzigern
„Das also ist mein Leben“ ist ein in Briefform geschriebener Entwicklungsroman mit einem sehr genau beobachtenden Erzähler, der vor allem deswegen ein so authentisches Bild seiner Zeit abgeben kann, weil er immer ein wenig abseits steht. Das Buch spielt 1991 / 1992, ist aber nicht nur für alle, die in der gleichen Zeit zur Schule gegangen sind, spannend zu lesen. Charlie schreibt so einfühlsam und offen über sein Leben, dass man gar nicht anders kann als sich ihm auf irgendeine Weise verbunden zu fühlen. DIe Themen, die ihn beschäftigen, sind vielfältig und heute genau so relevant wie vor zwanzig Jahren. Sie reichen von Musik, Freundschaft und Liebe über Selbstmord und Abtreibung hin zu Drogen und sexuellem Missbrauch. Dabei ist Charlies Handeln stets von dem Wunsch geprägt, dass es allen Menschen gut gehen soll – wobei er jedoch manchmal sich selbst vergisst.
Ich musste beim Lesen von „Das also ist mein Leben“ lachen und weinen, und es hat mich berührt wie dieses Jahr kein anderes Buch.
Titel-Verwirrung
Unter dem Titel „Das also ist mein Leben“ ist dieses Buch erst 2011 erschienen. Zuvor wurde es als „Vielleicht lieber morgen“ verlegt. Um die Verwirrung komplett zu machen, kommt die Verfilmung des Buchs mit Emma Watson und Ezra Miller am 1. November unter dem alten Titel heraus. Mir persönlich gefällt der Titel „Das also ist mein Leben“ besser, weil er die Stimmung des Buchs etwas besser einfängt (und außerdem ein Satz aus dem ersten Brief von Charlie ist). Am schönsten und treffendsten ist jedoch der englische Titel „The Perks of Being a Wallflower“ (Die Vorteile, ein Mauerblümchen zu sein), mit dem beide deutschen Varianten leider nichts zu tun haben. Aber egal unter welchem Titel – eine Leseempfehlung für dieses Buch gibt es von mir auf jeden Fall.
Infos zum Buch
Das also ist mein Leben /
Vielleicht lieber morgen
(The Perks of Being a
Wallflower)
Stephen Chbosky
288 Seiten
Erstausgabe 1999
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