Eine Hörspielfassung des WDR hat mich wieder an dieses Buch erinnert, das ich vor einigen Jahren gelesen habe, und das von Geschichte und Erzählweise her ein ganz besonderes Buch ist. Man kann sogar sagen, es hat meine Begeisterung für den postmodernen Roman geweckt oder zumindest verstärkt. Zwei Erzählstränge werden parallel geschildert. Johnny Truant, die Hauptfigur der Rahmenhandlung, findet nach dem Umzug in eine neue Wohnung ein Manuskript des kurz zuvor verstorbenen Vormieters Zampanò. In diesem Manuskript analysiert Zampanò einen Film namens The Navidson Record. Während Johnny die Abhandlung nicht nur liest, sondern sich geradezu in ihr verliert, gerät sein eigenes Leben aus den Fugen.
Verloren im House of Leaves
Die eigentliche Haupthandlung dreht sich um das titelgebende Haus, das im englischen Originaltitel doppeldeutig House of Leaves heißt. Eigentlich ist damit schon klar, dass sich das Haus in erster Linie in den Blättern aus Zampanòs Auszeichnungen zu The Navidson Record findet. Will Navidson, mit dem Pulitzerpreis ausgezeichneter Kriegsfotograf, zieht mit seiner Lebensgefährtin Karen Green und seinen beiden Kindern in ein neues Zuhause, vor allem auch um seine Beziehung zu Karen zu festigen. Nach kurzer Zeit entdeckt die Familie eine erste Veränderung in ihrem neuen Haus.
Eine Kammer taucht plötzlich auf, und Navidson stellt fest, dass die Ausmaße des Hauses innen größer sind als außen. Zunächst sind es nur ein paar Quadratzentimeter, über die Zeit jedoch mehr und mehr. Das Haus scheint innen zu wachsen und nimmt auch in Navidsons Leben einen immer größer werdenden Raum ein. Ein Gang, der aus dem Haus hinaus- und scheinbar in den Garten hineinführt, erstreckt sich plötzlich ins Wohnzimmer, ist jedoch von außen nicht zu sehen. Dieser Korridor entpuppt sich als Eingang in ein riesiges Labyrinth, das Navidson mit seinem Bruder und einigen Freunden untersuchen will. Während verschiedener Expeditionen entsteht jedoch nicht nur das Filmmaterial, auf das Zampanò seine Analysen bezieht. Expeditionsteilnehmer sterben, werden wahnsinnig oder verschwinden.
Subtiler Horror, verschachtelte Erzählung
Nicht nur der Inhalt hört sich bizarr an, das Buch ist auch in seiner Erscheinung ungewöhnlich. Es ist übersät mit Fußnoten, die sich teils auf reale, teils auf erfundene Quellen beziehen und verschiedenen Verfassern zugeordnet sind, mal Zampanò, mal dem Herausgeber. Auf manchen Seiten steht nur ein Wort, Teile sind in Spiegelschrift gedruckt, verschiedene Schriftarten repräsentieren unterschiedliche Verfasser oder Bearbeiter und die englische Originalfassung schafft es sogar, innen größer zu sein als außen.
In Das Haus. House of Leaves kann man sich regelrecht verirren. Es handelt sich nicht einfach um eine Geschichte mit ganz normalem Plot, sondern um ein wirkliches Lese-Erlebnis. Wer sich darauf einlässt, wird damit belohnt, regelrecht hineingezogen zu werden in das Buch und selbst Teil daran zu haben, die Mysterien, die das Haus und das Buch aufgeben, aufzuklären – oder eben nicht. Denn manche Rätsel im Leben haben einfach keine Lösung. Und natürlich ist das Haus, in das Navidson einzieht, ein Symbol für die Schrecken, die in ihm selbst wohnen – und die viel größer sind, als sein eigenes Leben das fassen kann. Die psychoanalytischen Elemente des Romans sind jedenfalls nicht zu übersehen.
Vordergründig ist Das Haus. House of Leaves eine Horrorgeschichte mit Blair Witch-Flair. Darüber hinaus aber ist es ein ungewöhnliches und vielschichtiges Buch, das man nicht einfach „weglesen“ kann. Vielmehr ist es ein Roman, durch den man sich einen Weg finden muss wie durch das Labyrinth im Haus – ein House of Leaves sozusagen.
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