Im Sommer 1975 beendete eine grausige Entdeckung das Sommerloch der Medien. Während eines Löscheinsatzes in der Hamburger Zeißstraße fand ein Feuerwehrmann in einer der Wohnungen Leichenteile. Die anschließende Untersuchung durch die Polizei förderte das ganze Ausmaß des Schreckens zu Tage: Fritz Honka, der Mieter der Wohnung, hatte im Verlauf der vergangenen fünf Jahre insgesamt vier Frauen in seiner Wohnung ermordet, ihre Leichen zerstückelt und teils in der Nähe des Wohnhauses abgeladen oder gleich in seiner Wohnung gelassen.
Dass dies entdeckt wurde, war nur dem Zufall des Feuers zu verdanken – keine der vier Frauen war als vermisst gemeldet, es gab vorher keinerlei polizeiliche Ermittlungen über ihr Verschwinden. Denn wie Fritz Honka selbst waren auch seine Opfer Teil der untersten Schichten des St. Pauli-Milieus – Alkoholiker, Obdachlose, ehemalige Prostituierte, die ihre Arbeiten in den heruntergekommenen Kneipen Elbschlosskeller und Zum goldenen Handschuh verbrachten. Dort lernte Honka seine Opfer kennen und nahm sie mit nach Hause, wo sie ihm für Logis und (wenig) Kost den Haushalt führten und ihm sexuell zur Verfügung standen, bis er ihrer überdrüssig wurde.
Heinz Strunk legt mit seinem Roman nun ein Psychogramm des „Frauenmörders von St. Pauli“ vor, der jenseits aller Sensationsgelüste der 1970er Jahre die Geschichte eines Menschen erzählt, der so weit jenseits aller gesellschaftlichen Verbindungen und Normen angekommen ist, dass selbst ein Mord ihn nicht weiter von der Zivilisation entfernen kann. Dies gelingt, indem Strunk konsequent aus Honkas Perspektive erzählt, dessen trostlose Abende im „Goldenen Handschuh“ schildert, die sich ausschließlich um Alkohol, Sex und Gewalt drehen – meist um alle drei. Auch Honkas Vergangenheit erzählt dieser, eine Kindheit und Jugend geprägt von Lieblosigkeit, Missbrauch, Aggression und Ausgrenzung, die nicht zu einem „normalen“ Erwachsenenleben führen konnte.
Der Goldene Handschuh: Treffpunkt für gescheiterte Existenzen
Der goldene Handschuh ist definitiv schwere Kost. Da beleidigen, bedrohen und prügeln sich Betrunkene in der Kneipe, sexuelle Fantasien von Gewalt und Macht haben all die verkrachten Existenzen fest im Griff und zwischen nächstem Korn und nächstem Sex versucht jeder, einen anderen zu dominieren, um nicht der unterste am untersten Rand der Gesellschaft zu sein, sondern vielleicht nur der zweite oder dritte. Tatsächlich wird Honka als dieser unterste geschildert, derjenige, auf den selbst in der heruntergekommensten Milieu-Kneipe noch herabgeschaut wird, weil er schielt, bleibende Verletzungen aus einem Unfall hat und ganz und gar ein unscheinbares Männlein ist.
Seine immer wieder aufblitzenden Träume von einem normalen Leben mit Job, Wohnung und einer Frau in seinem Alter (er ist Ende dreißig) weiß er selbst als unrealistisch einzustufen. Wenn er jemanden mit nach Hause nehmen kann, sind das ältere Frauen, über fünfzig, die kein Zuhause haben und die sich für etwas Essen prostituieren. Selbst sein Leben lang herumgeschubst, genießt Honka es, zumindest in solchen Zweierkonstellationen derjenige zu sein, der das Sagen hat – bis zum bitteren Ende.
Auch wenn Honkas Leben und Vorgeschichte die Einflussfaktoren sind, die ihn auf seine Existenz als Serienmörder zusteuern lassen, bilden auch die gesellschaftlichen Umstände den Rahmen für seine Ansichten und Taten. Zwei weitere Handlungsstränge in Der goldene Handschuh zeigen, dass Alkoholismus und Frauenverachtung sich nicht auf die Milieu-Kneipen in St. Pauli beschränkt. Ein reicher Anwalt und ein Sohn aus guten Hamburger Kreisen sind genau so gefangen in ihren Abhängigkeiten von Alkohol und Macht-Fantasien. Nicht nur in den Elendskneipen der Stadt werden Frauen durch Männer erniedrigt und geschlagen.
Strunks Roman schildert eindrucksvoll, bisweilen schockierend und tabulos den menschlichen Verfall vor dem Hintergrund des gesellschaftlichen und ist eine Empfehlung für all diejenigen, die verstehen wollen, wieso manche Menschen tun, was die meisten nicht tun.
Der goldene Handschuh ist für den Preis der Leipziger Buchmesse 2016 nominiert.