Endlich wieder Buchclub! Richtig viel Zeit hatten wir dieses Mal zwischen den beiden Treffen, und trotzdem bin ich gestern erst mit der Lektüre von „Der Golem“ (Gustav Meyrink) fertig geworden. Was aber ausschließlich an mir und der Tatsache lag, dass ich sehr spät damit angefangen habe – das Buch konnte nichts dafür. Im Gegenteil – als ich endlich angefangen hatte, stellte sich „Der Golem“ als wahrer Page-Turner heraus – und darüber hinaus als vielschichtig und bedeutungsstark.
Klassiker der phantastischen Literatur
Mit einem verwechselten Hut fängt alles an: Der namenlose Erzähler, zu Besuch in Prag, erlebt, wohl auch inspiriert durch die Lektüre über Buddhas Leben, einen sehr realistischen Traum. Er glaubt, der Besitzer des Huts zu sein, den er aus Versehen mitgenommen hat – Athanasius Pernath, ein Gemmenschneider, der vor 33 Jahren im jüdischen Viertel der Stadt lebte. Die Nachbarn dieses Pernath scheinen alle ihre Geheimnisse zu haben, und über sich selbst erfährt der Erzähler, dass man ihn für verrückt hält. Offensichtlich war er deswegen schon in Behandlung, und ein Arzt mittels Hypnose seine Erinnerung an seine Jugend ausgelöscht hat. Doch das ist noch nicht verwirrend genug, denn plötzlich geschehen seltsame Dinge: Ein merkwürdiger Mann, der sich benimmt, als wäre er in Pernaths Wohnung zu Hause, bringt ein Buch zum Ausbessern vorbei, das Pernath völlig in seinen Bann zieht. War das vielleicht der Golem, von dem alle sprechen? Die jüdische Sagengestalt, von Rabbi Löw im 17. Jahrhundert aus einem Klumpen Lehm erschaffen, die alle 33 Jahre wieder auftaucht? Immer wieder will man dieses Wesen gesehen haben, und selbst Pernath glaubt, ihm zu begegnen. Gleichzeitig geschehen Mord und Intrigen, ganz realistische Zeichen des Horrors – und für die abergläubischen Bewohner des Viertels der Beweis, dass der Golem tatsächlich in der Nähe ist. Auch Pernath wird Opfer einer Verschwörung, und die Grenzen zwischen Traum und Realität verwischen endgültig.
Vielschichtiger Roman
Vordergründig ist dies eine phantastische und auch düstere Geschichte, wie man sie z.B. bei Edgar Allan Poe findet. Eine packende Erzählung, die man in wenigen Tagen gelesen hat, weil sie dicht und spannend geschrieben ist, die Figuren absolut realistisch wirken und niemand und nichts so ist wie es scheint. Gleichzeitig handelt es sich um einen sehr vielschichtigen Roman, in dem Themen wie die Kontrolle über das eigene Bewusstsein und Entscheidungsfreiheit behandelt werden. Dass Pernath immer mal wieder bewusstlos wird, ist sicher nicht nur dramaturgischen Gründen geschuldet.
Auf jeden Fall ein Buch, über das man lange nachdenken und sich hervorragend unterhalten kann – der perfekte Buchclub-Kandidat also.
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Infos zum Buch
Der Golem
Gustav Meyrink
272 Seiten
Erstausgabe 1915
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