Science Fiction kann vieles sein: Der Traum von einer technologisch fortgeschrittenen Zukunft, spannende Action, eine düstere Dystopie. Für viele Autoren ist es gleichzeitig eine Verneigung vor der Wissenschaft, oder, wie Dietmar Dath es in Der Schnitt durch die Sonne eine seiner Figuren formulieren lässt:
Es geht eben nicht um Wissensvermittlung, es geht um bestimmte Haltungen zum Wissen, die da erprobt werden, man könnte die jeweilige Wissenschaft auch ganz frei erfinden dafür, aber am klügsten nimmt so ein Schriftsteller was, das wenigstens wirklicher Wissenschaft ähnelt, weil man damit schon mal den Grundrespekt vor Wissen und Können mitteilt, von dem dann alles andere abzweigt – die Hoffnungen, die Ängste, die Möglichkeiten. Eine Einladung zur Welt.
Besser kann man den neuen Roman von Dietmar Dath kaum beschreiben, denn der Respekt vor der Wissenschaft zieht sich durch die gesamte Geschichte und gibt ihr Form, Handlung und Sinn.
Fünf Menschen – zwei Musiker, zwei Wissenschaftler, ein Koch, drei davon Männer, zwei Frauen – werden innerhalb weniger Stunden im Raum Berlin aus ihrem bisherigen Leben gerissen, gebeten oder entführt. Teiresias, eine Lebensform von der Sonne, die im Körper eines jungen Mädchens eine zwischenzeitliche Heimat auf der Erde gefunden hat und zu deren Name der Fettdruck genau so zählt wie bei allen anderen Sonnenbewohnern, ist von ihrem So-was-wie-Vater Pha beauftragt worden, Menschen zur Sonne zu bringen, die bestimmte Aufgaben lösen sollen.
Denn auf der Sonne geht es nicht annähernd so friedlich zu, wie man aus der Entfernung meinen könnte. Es geht ein Schnitt durch die Sonne: Ein Bürgerkrieg spaltet die Bewohner in zwei Lager, und alles, was man dazu wissen musst, ist, dass die einen gerne alles so lassen würden, wie es ist, und die anderen am liebsten alles ändern würden. Rettung kann scheinbar nur von der Erde kommen, und so werden Marianne, Aykut, Vera, Karel und Bernhard – bzw. deren Abbilder, denn eine echte Reise zur Sonne ist auch in diesem Roman nicht möglich – „rekrutiert“, um Aufgaben zu lösen, die ihnen niemand erklärt, in einer Umgebung, die sie nicht verstehen.
Nach etwa zwei Stunden, in denen er einigen der schweigsam freundlichen Kinder begegnet ist, die hier spielen, putzen oder einander bei den Händen halten und die Sterne draußen betrachten, wird ihm klar, dass er weder weiß, was er sucht, noch erkennt, was er findet.
Der Schnitt durch die Sonne: Verneigung vor der Wissenschaft und vor dem, was einen Menschen ausmacht
Der Schnitt durch die Sonne ist ein Science Fiction-Roman mit hohem Science-Anteil, und wer Mathematik nicht ausstehen kann, wird sich an manchen Stellen mit dem Buch schwer tun – oder viele Seiten zu überblättern haben. Mathematische Abbildungen scheinen der Schlüssel zu allen aufgegebenen Rätseln zu sein, auf der Sonne lebt ein Monster das nach einer Zahl benannt ist, die der Wissenschaft (und deren Wikipedia-Eintrag mir) Rätsel aufgibt und Mathematikerin Vera ist diejenige, die ständig kurz vor der Lösung der Aufgabe zu stehen scheint – ohne dass jemand wüsste, worin dieses Aufgabe nun eigentlich besteht.
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Der Schnitt durch die Sonne von Dietmar DathErschienen 2017 bei S. Fischer | Anzeige |
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Der Schnitt durch die Sonne von Dietmar DathErschienen 2017 bei S. Fischer |
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Es ist wahr: Was man sich gewünscht hat kennt man besser als das, was man bloß gewohnt ist.
Doch die Wissenschaftler, die für diesen „Ausflug“ ausgewählt wurden, sind eben nur ein Teil der Gruppe. Und genau so sehr, wie es um die Faszination für Physik und Mathematik und ihre Bedeutung für die Menschheit geht, handelt der Roman auch von den anderen Dingen, die einen Menschen ausmachen: Kunst, Kultur sowie Freundschaft und Liebe.
Ich habe Der Schnitt durch die Sonne mit zunehmender Begeisterung gelesen, auch wenn ich selbst keine Naturwissenschaftlerin bin (aber es gibt ja auch im Bilder im Buch). Scheint es anfangs „nur“ darum zu gehen, dass fünf Fremde auf der Sonne etwas erledigen müssen, geht es im weiteren Verlauf mehr und mehr darum, sich selbst als Mensch zu definieren. Und die damit zusammenhängenden Fragestellungen sind mindestens eben so spannend wie ein Trip zur Sonne.
Dass der Roman an vielen Stellen vage bleibt, die Sonnen-Besucher nicht verstehen, was sie sehen und was sie tun sollen, ist für mich die größte Stärke des Romans. Ersetzt man die Sonne nämlich durch die Erde, so unterscheidet sich unser Leben nicht so sehr von Aufgaben, die man nicht kennt und deren Zweck man nicht versteht. Oder anders ausgedrückt:
If nothing we do matters, then all that matters is what we do.