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Die fürchterlichen Tage des schrecklichen Grauens von Roman Ehrlich

von Yvonne

Was Lebensträume angeht, zählt der von Moritz ganz sicher zur ungewöhnlicheren Sorte: Er möchte gerne in einem Horrorfilm mitspielen. Und dabei einen möglichst grauenvollen Tod sterben, den er sich dann – völlig ungefährdet – später auf der Leinwand anschauen kann. 

Moritz hat Glück. Sein alter Studienfreund Christoph ist mittlerweile Regisseur und plant tatsächlich gerade einen Horrorfilm unter dem vorläufigen Projekt-Titel Das schreckliche Grauen. Das Ganze soll allerdings ein größeres Projekt werden und alle Beteiligten sollen sich von Anfang an komplett einbringen.

Moritz, der gerade von seiner Freundin sitzen gelassen wurde und dem sein Agentur-Job trotz Kicker, Pizza und regelmäßigen Events auch keinen richtigen Spaß mehr macht, ist sofort dabei. Auch, wenn noch nicht klar ist, welche Rolle er in dem Film übernehmen soll, ob er am Ende überhaupt teilnehmen darf, fährt er bereitwillig und regelmäßig von München in Christophs Heimatstadt Ulm, um dort im Hinterraum einer Kneipe an Angst-Sitzungen teilzunehmen. Jeder Teilnehmer am Film – Freunde von Christoph und Bekannte aus der Film-Branche – soll allen anderen Anwesenden seine größte Angst erzählen. Denn Christoph möchte reale Ängste als Basis für das Drehbuch seines Films nutzen.

Ich fühlte mich von einer höheren Macht erhört und beschenkt und ging eine Weile herum mit einem Gefühl in der Brust, dass vielleicht doch alles möglich wäre, was ich wollte, wenn ich nur genug Geduld aufbrächte.

Die fürchterlichen Tage des schrecklichen Grauens bringen alle an ihre Grenzen

Dass Christophs Kreativität vielleicht schon länger mit ihm durchgegangen ist, stellt Moritz fest, als er auf Youtube den „fiesen Film“ von ihm sieht, der exakt hält, was sein Name verspricht. Trotzdem hält Moritz dem Studienkollegen – und vor allem seiner (fixen) Idee – auch dann noch die Treue, als seine Film-Vorbereitung die Grenzen des erzählten Worts verlassen und seinen Mitstreitern immer mehr abverlangen.

Die fürchterlichen Tage des schrecklichen Grauens ist ein Buch, das seinen Leser in jedem Fall irritiert. Auf 640 Seiten schreitet die eigentliche Handlung – die Entstehung des Horrorfilms – kaum voran. Stattdessen verwebt Roman Ehrlich Dutzende von Erzählungen über Ängste, Ausflüge, Projekte sowie erfundene und real existierende Buch- und Filmhandlungen miteinander und fesselt einen beim Lesen wie Scheherazade in Tausendundeiner Nacht.

Irritierend ist auch der Protagonist, bei dem ich nicht wusste, ob ich ihn in seiner Naivität und seiner absoluten Weigerung, auch nur das kleinste bisschen Verantwortung zu übernehmen, unsympathisch finden oder seine Beharrlichkeit und seinen Glauben an die Idee bewundern sollte. Und darüber hinaus ist Die fürchterlichen Tage des schrecklichen Grauens das erste Buch überhaupt, das ich beinahe abgebrochen hätte, weil ich mich dem, was ich da las, nicht länger aussetzen wollte – und weil ich nicht lesen wollte, was da wohl noch alles kommen mochte.

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Die fürchterlichen Tage des schrecklichen Grauens von Roman Ehrlich

Erschienen 2017 bei S. Fischer
640 Seiten, 23,90 Euro

Bei Amazon bestellen           Bei Thalia bestellen

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Die fürchterlichen Tage des schrecklichen Grauens von Roman Ehrlich

Erschienen 2017 bei S. Fischer
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Im Nachhinein bin ich sehr froh, dass ich dem Impuls, den Roman nicht zu Ende zu lesen, nicht gefolgt bin. Denn Die fürchterlichen Tage des schrecklichen Grauens ist voll von genauen Beobachtungen, die unsere Zeit der Unterhaltung und des künstlichen Adrenalin-Rauschs perfekt einfangen.

Einmal fuhr ein tannengrüner Passat an uns vorbei, aus dem zwei alte Frauen auf eine sehr souveräne Art herausschauten, als hätten sie auf der Welt schon wirklich alles gesehen und nichts davon gemocht.

Ein Porträt unserer Zeit

Besonders treffend sind natürlich die Ängste erzählt, die die Projekt-Teilnehmer schildern. In einer der sichersten Zeiten und Gegenden der Weltgeschichte scheinen diese nicht abgenommen zu haben, sondern sich zum permanenten Lebensbegleiter entwickelt zu haben. Ob es die Angst vor der drohenden Katastrophe, einem Stalker, öffentlichem Sprechen oder der Liebe ist – keiner der Teilnehmer ist ohne eine tiefgreifende Lebensangst am Start.

Zur Identitätsstiftung genau so wichtig wie die eine, einzigartige Angst ist es, eine Story zu haben. Die Narration steht über allem, und wer damit langweilt, wird von Christoph castingshow-tauglich aus dem Projekt geworfen, so dass eine weitere Angst über allem steht: Wer mit seiner Angst nicht überzeugen kann, kann auch schnell draußen sein, selbst aus einem so skurrilen und auf Mitstreiter dringend angewiesenen Projekt wie dem Schrecklichen Grauen.

Die fürchterlichen Tage des schrecklichen Grauens ist alles andere als ein alltägliches Buch. Es verstört, irritiert und lässt einen teilweise ratlos zurück. Und es nähert sich den Phänomenen Angst und Narration so konsequent und genau beobachtet an wie kein anderes Buch, das ich kenne. Für mich eine echte Entdeckung.

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