Vom Rheinland hat es ihn in den Osten verschlagen, wo er immer noch ein Fremder ist: Im Ostschloss, einem mangels anderer Verwendungsmöglichkeiten zur psychiatrischen Klinik umfunktionierten, baufälligen Schloss, arbeitet Altfried Janich als Psychiater. Ständig in Bereitschaft hat er auch ein Zimmer im Schloss bezogen, was ihn noch näher zu seinen Patienten und weiter weg von allem, was es außerhalb der Klinik noch so gibt, bringt.
Der plötzliche Unfalltod seines Jugendfreunds Odilo bringt Altfried kurzzeitig zurück in die Heimat, wo er auf der Beerdigung unerwarteterweise sene Schwester trifft, die seines Wissens zu Odilo keinerlei besondere Beziehung hatte. Doch mehr noch als das merkwürdige Auftauchen der Schwester beschäftigt Altfried nun die Vergangenheit, erfundene und tatsächlich erlebte Begegnungen mit Odilo und das plötzlich so fern und fremd scheinende Familienleben. Wie Altfried selbst war Odilo ein Jugendlicher, der nicht so recht zu seinen Gleichaltrigen passte, und die Faszination, die Lumineszenz in der Natur auf ihn ausübte, hatte Odilo zum Beruf gemacht. Stundenlang konnte er sich mit Laternenfischen befassen, Mäuse durch eine luminiszierende Flüssigkeit selbst zum Leuchten bringen. Dass dieser Mann, der Hobbys für Zeitverschwendung und soziale Bindungen für überbewertet hielt, ausgerechnet eine Affäre mit Altfrieds Schwester hatte, ist für diesen eine echte Überraschung.
Zwischen Gegenwart und Vergangenheit
Während Altfried tagsüber immer wieder feststellt, dass er den aus der Gesellschaft herausgefallenen Patienten bei ihren eigentlichen Problemen nicht helfen kann, gibt er sich nachts seinem – wie Odilo es nannte – exzentrischen Hobby hin: Er geht auf Erlkönig-Jagd, versucht, ein Foto von einem neuen, getarnten Automodell auf Testfahrt durch dunkle Straßen zu ergattern. Einmal ist ihm dies durch Zufall gelungen, und die fortwährende (und erfolglose) Jagd auf ein weiteres solches Foto gleicht dem Versuch, noch einmal einen besonderen Moment zu erleben und so an die Vergangenheit anzuknüpfen.
Damit ist er seinen Patienten gar nicht so unähnlich, denn was alle eint, ist die Tatsache, dass für sie kein Platz war in dieser Gesellschaft. „Wendeopfer“ nennt Altfried sie, Menschen, die durch den Verlust des Arbeitsplatzes oder die aufkeimende Aggression der Mitmenschen zunächst in Angst und schließlich in den Wahnsinn getrieben wurden.
Marion Poschmann erzählt in ihrem sprachlich dichten Roman „Die Sonnenposition“ eine Geschichte zwischen Gegenwart und Vergangenheit, die vor dem punktuell aufblitzenden Hintergrund der jüngeren deutschen Geschichte die Auswirkungen des Politischen auf das Private zeigt.
„Die Sonnenposition“ steht auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis 2013.
Infos zum Buch
Die Sonnenposition
Marion Poschmann
337 Seiten
Erstausgabe 2013
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