Richtig echt ist hier schon lange nichts mehr: Auch wenn das Motto der kleinen Gemeinschaft Überlebender einer weltweiten Katastrophe „Zurück zur Natur“ zu sein scheint, ist die Rosenalm, auf der sie sich angesiedelt haben, doch nur ein künstlicher Nachbau, in dem man sich im Urlaub so fühlen sollte wie die Vorfahren in Deutschland. Die Digitalisierung des gesamten gesellschaftlichen Lebens, die in Form von Kuschelrobotern für Kinder und „Homies“ genannten, alles kontrollierenden Computern Einzug ins Zuhause der Menschen gehalten hat, hat dahin geführt, wo zu ausgeprägter Technologie-Glaube in der Literatur immer hinführt: in die vollständige Zerstörung all dessen, was sie bewahren sollte.
Heinz, aus dessen Sicht Die Verteidigung des Paradieses geschildert wird, ist 15 und er kann sich an seine Zeit vor der Katastrophe kaum erinnern, weil er bei ihrem Eintritt gerade mal vier Jahre alt war. Die wenigen Erinnerungen an seine frühe Kindheit hütet er wie einen Schatz und kramt sie nur dann hervor, wenn er besonderen Trosts bedarf.
[…] es ist mein Zimmer, auf dem Boden liegt mein Spielzeug, da steht mein Kleiderschrank, da mein Tisch mit dem Mal-Screen. Trotzdem sieht im elektrischen Licht alles anders aus als tagsüber. Als wäre hier gerade etwas geschehen, das nichts für Kinder ist.
Seine eigentliche „Familie“ sind fünf bunt zusammengewürfelte Menschen, die sich zufällig im Urlaubsgebiet der Rosenalm aufgehalten haben, als das Schutzschild über großen Teilen Europas zerbarst und damit den mittlerweile lebensfeindlichen klimatischen Bedingungen den Weg ebnete. Auf der Alm gibt es dagegen noch einen Schutzschild, auch Tiere und Wasser im Überfluss. Unter der Führung von Cornelius, einem ehemaligen Politiker, führen die sechs ein zwar anstrengendes, aber insgesamt unaufgeregtes Leben.
Die Verteidigung des Paradieses erfordert persönliche Opfer
Zu seinem 15. Geburtstag erhält Heinz ein paar Hefte und Stifte sowie den Auftrag, der Chronist der Gemeinschaft zu werden. Sein literarisches Talent geht dabei über das reine Schreiben hinaus, denn scheinbar völlig ohne literarische Vorbildung kann er die ersten Sätze der Klassiker der Weltliteratur zitieren. Doch bevor die Alm-Gemeinschaft sich darüber wundern oder gruseln kann, verliert ihr kleines Paradies einiges an Attraktivität: Die Technik, die Wasserzufuhr und Temperatur regelt, spielt verrückt und stellt damit das Überleben in Frage, die Tiere infizieren sich an einer Seuche und weitere Menschen werden gesichtet. Um ihr Leben zu retten, macht sich die Gruppe auf den Weg in eine ungewisse Zukunft.
Die Verteidigung des Paradieses ist einerseits eine klassische Post-Apokalypse. Das Überleben der Gruppe nach der mysteriösen Katastrophe bietet auf Grund des Kontrasts zur Gegenwart Einblicke in ein mögliches Zukunftsszenario, in dem die Menschheit wieder von vorne beginnen muss. Die Zukunft, die zu dieser Katastrophe geführt hat, ist zwar nur angedeutet, zeichnet sich aber als ganz klare Folge unserer Gegenwart ab. Gleichzeitig ist Die Verteidigung des Paradieses eine Coming-of-Age-Geschichte um den 15jährigen Heinz, der seine wahre Identität im Überleben mit den anderen findet. Für Fans beider Genres ist der jüngste Roman von Thomas von Steinaecker eine dringende Empfehlung.