Auf den ersten Blick erscheint Galens Leben wie ein Traum: Auf einer riesigen Walnuss-Plantage lebt der 22jährige allein mit seiner Mutter, die monatlichen Überweisungen aus dem Treuhand-Vermögen der Großmutter reichen aus, um den beiden jegliche Berufstätigkeit zu ersparen, und er hat genügen Zeit, zu meditieren und Siddharta zu lesen. Einmal täglich besuchen Galen und seine Mutter die Großmutter im Altenheim, und ebenfalls nahezu täglich kommen Tante und die 17jährige Cousine – Helen und Jennifer – zu Besuch.
Doch ganz dicht unter der Oberfläche dieses ländlichen Idylls tun sich wahre Abgründe auf. Jeder in der Familie blickt auf seine eigene Misshandlungsgeschichte zurück. Helen wurde ebenso wie die Großmutter vom Großvater geschlagen, Galens Mutter wird noch heute von der Tante vorgeworfen, dass sie als einzige ungeschoren davon kam, und Jennifer lebt ganz offensichtlich die Kindheit der eigenen Mutter nach. Die Ohnmacht, die die Frauen aus Galens Familie erlebt haben und noch erleben, setzen sie ihrerseits in Druck und Missbrauch unterschiedlichster Art um. Helen sieht in Galen eine Konkurrenz im Kampf ihrer Tochter um das Treuhandvermögen der Großmutter und hält den Neffen so durch Ironie und Lieblosigkeit auf Distanz. Jennifer ist sich ihrer Reize durchaus bewusst und setzt ihren spät zündenden Cousin diesen immer wieder bewusst aus – oft, um mit ihm zu spielen, immer zur Demonstration ihrer Macht über ihn. Galens Mutter schließlich verwehrt dem Sohn eine Ausbildung und nimmt ihm so jegliche Möglichkeit, ein eigenständiges und selbstbestimmtes Leben zu führen.
Ein Leben im Dreck
David Vann schafft in seinem Roman Dreck das Kunststück, mit Galen eine gleichzeitig absolut nachvollziehbare, aber dennoch als Identifikationsfigur völlig ungeeignete Hauptfigur zu schaffen. Zu losgelöst von jeder Vernunft, zu nah am Wahnsinn sind die Handlungen des jungen Manns, als dass man den ganzen Roman hindurch auf seiner Seite sein könnte. Dennoch sind sie das absolut logische Ergebnis dessen, was Galen sein Leben lang erlebt hat. Die Sozialisierung durch die Frauen in seiner Familie gibt ihm quasi zwingend vor, sich ausgegrenzt zu fühlen und somit sich selbst nicht als Teil der Welt und die Welt nicht als relevant für die eigenen Entscheidungen zu sehen – Galen lebt im Dreck, wird wie Dreck behandelt und sieht sich selbst als Dreck.
Das Ergebnis ist ein faszinierend-verstörender Roman über Prägung durch die Familie, über eine der Welt und jeglichen sozialen Normen entrückte Persönlichkeit und über die fließenden Grenzen zwischen Normalität und Wahnsinn. Sicher kein leicht zu verdauender Roman, aber auf jeden Fall einer, an den man nach dem Lesen noch lange denkt.