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Freundschaft, wo es eigentlich keine geben kann

von Yvonne

Walter Urban ist im Februar 1945 gerade mal 17, und sein Alter hat ihn bisher davor bewahrt, wie so viele andere an die Front zu müssen. Mit seinem besten Freund Fiete arbeitet er auf einem Milch-Hof als Melker, und die Parole „Ohne Milch kein Krieg“ bringt ebenfalls ein bisschen Schutz vor der Zwangsrekrutierung. Mit ihren Freundinnen Elisabeth und Ortrud führen sie ein relativ sorgenfreies Leben, das zwar von Mangel und Entbehrungen geprägt ist, jedoch Raum lässt für unbeschwerte Abende mit Musik und Alkohol – der Krieg ist schließlich weit weg. Vor allem Fiete genießt diese Zeit. Nachdem er vom Gymnasium geflogen ist und die Melker-Lehre begonnen hat, ist er im Herzen ein Rebell geblieben, bricht gerne Regeln, hat eine große Klappe und verliert sich in seinen Büchern und Gedichten. Mehr als ein Mal muss der viel bodenständigere Walter auf Fiete aufpassen, obwohl beiden in der Heimat nicht allzu viel Schlimmes zustoßen kann. Doch Anfang 1945 ist die Lage schon so aussichtslos, dass man jeden für den Kriegsdienst verpflichtet, der eine Waffe halten kann. Und so werden Walter und Fiete und auch etliche andere Dorfbewohner, an denen der Kelch bisher vorüber gegangen ist, mehr oder weniger deutlich gezwungen, der Waffen-SS beizutreten.

Schon am nächsten Morgen werden die beiden in die Grundausbildung geschickt. Die Hoffnung, dass während ihrer drei Monate in der Kaserne der Krieg durch die Alliierten beendet wird und man ohne Einsatz nach Hause darf, zerschlägt sich bereits nach drei Wochen: Da dringend Soldaten benötigt werden, wird die Ausbildung einfach vorzeitig für beendet erklärt. Walter, der die Gelegenheit genutzt hat, den Führerschein zu machen, wird als Fahrer eingesetzt und muss daher nicht an die Front. Fiete dagegen wird in den Kampf geschickt, plant aber schon zu Beginn, dass er bei erster Gelegenheit die Armee wieder verlassen wird – notfalls auch ohne Erlaubnis. Dass Walter seinen Freund eindringlich davor warnt, Fahnenflucht zu begehen – schließlich werden in den letzten Kriegstagen Deserteure ohne Prozess erschossen oder erhängt -, hält diesen nicht davon ab, von einem Leben außerhalb des Militärs zu träumen.

Im Frühling sterben: Geschichte einer Freundschaft und einer Familie

Ralf Rothmann erzählt in seinem Roman Im Frühling sterben die Geschichte seines Vaters, die er schriftstellerisch angereichert hat, da sein Vater ihm Zeit seines Lebens nicht viel über die Kriegsjahre preisgegeben hat. Im Zentrum der Erzählung steht die Freundschaft zwischen Walter und Fiete, und wer nicht von vorneherein wissen will, worauf ihre Geschichte hinausläuft, sollte auf keinen Fall den Klappentext des Romans lesen.

Eindrücklich schildert Rothmann, wie alternativlos sich das Leben von Walter gestaltet, wie er Entscheidungen nicht trifft, sondern sie für ihn getroffen werden, und seine einzige Option oft der Tod ist. Mehr und mehr lernt Walter die Schrecken des Kriegs kennen, sieht entsetzt die Gräuel, die seine Kameraden begehen, und ist doch zu schwach und zu unerfahren, um etwas dagegen zu unternehmen. Seine Strategie heißt Warten: Deutschland ist längst eingekesselt und wird von den alliierten Mächten zurückgetrieben, und so schwört Walter auch Fiete immer wieder darauf ein, nur noch ein wenig durchzuhalten, um am Ende nach Hause zu können.

Neben der Freundschaft zwischen Walter und Fiete spielen auch die Beziehungen zwischen den Generationen eine große Rolle in Im Frühling sterben. Dass Walter Rothmanns Vater ist, erfährt man aus einer Rahmenhandlung, in der es um den Tod von Rothmanns Eltern geht und die auf den ersten Blick überflüssig für den Roman wirkt. Doch immer wieder wird im Roman thematisiert – zuletzt ganz wörtlich von Fiete, der diese These von seinem Vater, einem Arzt, hat -, dass Eltern ihren Kindern mehr mitgeben als Gene und Sozialisierung, eine Art emotionales Gedächtnis, dass die Erlebnisse der Vor-Generationen zu den selbst gefühlten, wenn auch nicht erlebten, macht. So erzählt Rothmann in der Geschichte seines Vaters seine eigenen Emotionen, und dass beide über den Friedhof irren und das Grab des eigenen Vaters suchen, ist nur eine weiteres an die nachfolgende Generationen weitergereichtes Erbe.

Im Frühling sterben ist ein melancholischer, fast trauriger Roman, dessen Stimmung sich nicht nur auf den Autor als Erben der Geschichte, sondern auch auf den Leser überträgt.

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