Was passiert, wenn ein Mensch sich über Nacht in einen Käfer verwandelt, weiß man spätestens seit Kafka. Doch auch der umgekehrte Weg bietet Möglichkeiten für eine interessante Erzählung, und diese Möglichkeiten nutzt Tyler Knox in seinem Romandebüt „Kockroach“. Dabei zeigt vor allem der erste Satz, der sehr stark an den ersten Satz aus Kafkas „Verwandlung“ angelehnt ist, woher Tyler Knox seine Idee hatte: „As Kockroach, an arthropod of the genus Blatella and of the species germanica, awakens one morning from a typically dreamless sleep, he finds himself transformed into some large, vile creature.“ Das Wesen, in das sich die Hauptfigur Kockroach in Tyler Knox‘ bisher nicht auf deutsch erschienenem Debütroman verwandelt, ist natürlich ein Mensch. Doch während Gregor Samsa von Gesellschaft und Familie ausgeschlossen wird, bis er in Einsamkeit und Zurückgezogenheit stirbt, kommt der Ex-Kakerlak erstaunlich gut in der Welt der Menschen zurecht und findet sehr schnell Anschluss, wobei ihm seine tierischen Instinkte dabei durchaus hilfreich sind.
Klassische Gangster-Geschichte
Nachdem Kockroach den verhassten neuen Körper inspiziert hat (und Gedanken an Selbstmord oder Selbstaufgabe seiner Kakerlaken-Natur gänzlich fremd sind), arrangiert er sich mit der neuen Situation und macht sich auf den Weg, seine Umgebung zu erkunden – und zu erobern. Im New York der 1950er Jahre trifft Kockroach auf Mite, einen Kleinkriminellen, der mehr Ideen für einen Aufstieg in Gangster-Kreisen hat, als er alleine umsetzen kann, und den seine Ideen bisher vor allem in Schwierigkeiten gebracht haben. Nachdem Kockroach Mite vor einem Gläubiger geschützt hat, nimmt sich Mite dem wortkargen und zielgerichtet brutalen Zeitgenossen an, der sich selbst mittlerweile den Namen Jerry Blatta (das lateinische Wort für Kakerlake und eins der ersten Worte, die Kockroach zu sprechen lernt) gegeben hat. Kockroachs Aufstieg in der New Yorker Unterwelt beginnt dank Mite rasant, und über Umwege gelangt Kockroach tatsächlich ganz nach oben. Und interessanterweise sind es immer die Eigenschaften – Instinkt, Kälte, Zielstrebigkeit -, die er sich aus seiner Zeit als Schabe bewahrt hat, die ihn unter den Menschen weiterbringen.
Aus drei verschieden Perspektiven – Kockroach, Mite und deren gemeinsame Freundin Celia – wird eine klassische Gangster-Geschichte erzählt, die mit ein paar unerwarteten Wendungen aufwarten kann. Die Umkehr von Kafkas Erzählung ist hierbei nur der Ausgangspunkt; weitere Analogien sind vielleicht hin und wieder zu entdecken, jedoch ist „Kockroach“ eher ein „good read“ als große Literatur. Aber das muss es auch nicht sein – unterhaltsam, spannend und witzig bis zuweilen grotesk ist es in jedem Fall.