Was haben ein abgerissenes und wieder angeklebtes Ohr, eine Beerdigung und Hitchcocks Die Vögel gemeinsam? Sie alle bilden den Ausgangspunkt für eine der 63 Erzählungen in Martin Lechners Band Nach fünfhundertzwanzig Weltmeertagen. Lose verbunden, eher durch Struktur und Themen als durch Inhalte, schildern die zwischen wenigen Zeilen und mehrere Seiten umspannenden Geschichten mal Banales, mal Absurdes und lassen – wie Kurzgeschichten das oft tun – dabei vieles ungesagt.
Viele dieser Themen drehen sich ums Wasser – die oder den See oder auch mal die Dusche. Vor allem aber handeln sie von Abgeschiedenheit und der Unmöglichkeit zu kommunizieren.
Nach fünfhundertzwanzig Weltmeertagen: 63 kurze Erzählungen, die es in sich haben
Vor knapp zwei Jahren stand Martin Lechners Debütroman Kleine Kassa auf der Longlist für den Deutschen Buchpreis. Kleine Kassa war ein Thriller, der durch Story, Plot und Sprache gleichermaßen überzeugen konnte. In Nach fünfhundertzwanzig Weltmeertagen zeigt sich nun jedoch Lechners wahre Stärke. Ob verknappt oder in über mehrere Seiten sich erstreckenden Nahezu-Endlos-Sätzen spielt Lechner virtuos mit der Sprache. Auch absurde Texte scheut er nicht, so dass nach einer ersten eher tagebuchhaften Eintragung (die an Frischs Tagebücher erinnert), eine Erzählung aus der Sicht eines Sees folgt, der sich, seit er zu Bewusstsein gekommen ist, zu Tode langweilt und sich ein bisschen Action wünscht. Bewusstsein ist ein wiederkehrendes Thema in Nach fünfhundertzwanzig Weltmeertagen, auch eine Puppe wird durch ihre sadistische Besitzerin „erweckt“ und imitiert diese später aus Mangel an besseren Vorbildern, und ein Duschvorhang sieht seinem unweigerlichen Ende relativ gelassen entgegen.
Bei Lesen musste ich nicht nur an Frisch denken, sondern auch an Kafka, Handke und alle die Regisseure (und weitere), die Lechner in seinen Erzählungen zitiert. Für Freunde literarischer Erzählungen ist dieser Band auf jeden Fall eine Empfehlung.