Home Rezensionen Nie mehr Nacht (Mirko Bonné)

Nie mehr Nacht (Mirko Bonné)

von Yvonne
Cover "Nie mehr Nacht" (Mirko Bonné)

Cover „Nie mehr Nacht“ (Mirko Bonné)

Der Zufall ist die Sprache der Welt. Zumindest ist es das, was Ira, die Schwester von Markus Lee, immer behauptet hat, ohne jedoch zu ergänzen, dass es eine Sprache ist, die sie selbst nicht spricht. Denn selbst ihren Tod hat Ira nicht dem Zufall überlassen, und nun, ein knappes Jahr, nachdem Ira sich das Leben genommen hat, kommt Markus noch immer nicht über den Verlust des für ihn wichtigsten Menschen im Leben hinweg. Während seine Eltern ganz pragmatisch in Iras Haus gezogen sind, um sich um deren Teenager-Sohn Jesse zu kümmern, und mit dem Gedanken spielen, die Garage, in der Ira zur Musik von Fleetwood Mac gestorben ist, abzureißen, denkt Markus über die mit der Schwester geteilte und zumindest im Ansatz überwundene Angst vor der Dunkelheit nach.

Aus seiner Trauer scheint ihn ein Anruf seines Jugendfreunds Kevin zu reißen: Kevin gibt ein Kunstmagazin heraus, Markus zeichnet, vor allem Architektur. Es ist nicht das erste Mal, dass die beiden zusammen arbeiten, aber dieses Mal handelt es sich um einen besonderen Auftrag. Ein umfangreicher Bericht über den D-Day soll teilweise mit Zeichnungen von Markus illustriert werden. Hierzu soll er in die Normandie fahren, um dort Brücken zu zeichnen, die von den Alliierten besonders umkämpft wurden. Zufällig – und das ist nicht der letzte Zufall, der Markus begegnet, wie ein Gruß seiner toten Schwester ziehen sich die Zufälle durch seine Reise – möchte auch Jesse gerne zur selben Zeit in die Normandie, weil die Eltern seines besten Freundes Niels Juhl und – wie sich später herausstellt – seiner Freundin Margo dort während der Herbstferien ein leerstehendes Hotel hüten und Vögel beobachten.


 

Zufall, Brücken und Angst vor der Dunkelheit

Natürlich nimmt Markus seinen Neffen mit, auch wenn es ihm schwerfällt, für den Jungen wirklich ein Onkel zu sein. Nicht nur die Tatsache, dass Jesse von Markus‘ Eltern großgezogen wird, sondern auch die nebeneinander erlebte, aber nicht geteilte Trauer um Ira macht beide eher zu Brüdern als zu Jugendlichem und Erwachsenem. Während der langen Fahrt kommen sich die beiden zwar näher, aber nie wirklich nah, denn jeder ist auf seine eigene Weise zu sehr mit dem Verlust und sich selbst beschäftigt.

Schon auf der Reise zeigt sich, dass Markus mehr und mehr den Bezug zur Welt verliert. Bis auf zwei Bücher, die beide eng mit seinem Vater verbunden sind – „Der grüne Heinrich“, dessen Hauptfigur wie der Vater heißt, und die Memoiren des Alliierten-Piloten McCoy Lee, die Markus von seinem Vater für die Fahrt geschenkt bekommen hat – lässt er alle anderen Bücherbund auch weiteres Gepäck auf einer Autobahnraststätte liegen. Doch dabei bleibt es nicht: Nacheinander trennt Markus sich von Handy, Auto und CDs und entschließt sich, auch nach Abfahrt der Juhls noch eine Weile in der Normandie zu bleiben, um sich dort vom Zufall treiben zu lassen. Dass er keine Brücken zeichnen kann, wo er selbst keine Brücke für sich in die Welt findet, überrascht dann auch nicht mehr.

„Nie mehr Nacht“ ist ein Buch über den Abschied, sowohl von einer geliebten Person als auch von der Welt. Der Verlust, den Markus erlebt, kappt seine Verbindung zum Leben und zu allen anderen Menschen, und wie intensiv die Bindung zu Ira war, kann man nur ahnen. Das Gefühl der Machtlosigkeit und der Verlassenheit ist durch den gesamten Roman hindurch spürbar, und auch wenn Markus Dinge tut, die man normalerweise nicht tut – wie zum Beispiel einen Rucksack wie abgeworfenen Ballast in einem Laden liegenzulassen, ist dies immer absolut nachvollziehbar. „Nie mehr Nacht“ ist ein sehr berührendes Buch, das die Trauer um einen wichtigen, den wichtigsten Menschen greifbar macht.

„Nie mehr Nacht“ steht auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis 2013.

Infos zum Buch

Nie mehr Nacht
Mirko Bonné
360 Seiten
Erstausgabe 2013


[manual_related_posts]

Google

Das könnte dir auch gefallen:

Schreibe einen Kommentar

Diese Website nutzt Cookies. Ich gehe davon aus, dass du damit einverstanden bist, wenn du die Seite nutzt. Du kannst dich aber aktiv davon abmelden. Akzeptieren Mehr Informationen