Der Ausbruch des Eyjafjallajökull, des isländischen Vulkans mit dem unaussprechlichen Namen, im Jahr 2010 hatte für den europäischen Flugverkehr nie gekannte Folgen: Die in die Luft geschleuderte Asche zwang einen Großteil der Flugzeuge für mehrere Tage auf den Boden. Zu dieser Zeit verbringt die namenlose Ich-Erzählerin von Panischer Frühling ein halbes Jahr im Londoner East End, das durch den plötzlich leeren und stillen Himmel völlig verändert und wieder wie eine Insel wirkt. Ziellos streift sie durch die Stadt, beobachtet ihre Nachbarn und lernt die Menschen in ihrer näheren Umgebung kennen. Ihre erwachsene Tochter ist zur gleichen Zeit in Südamerika und lässt nur noch selten von sich hören, so dass die neu eingekehrte Stille nicht nur den Londoner Flugraum, sondern auch das Leben der Frau betrifft.
Auf ihren Wegen entlang der Themse trifft sie auf den durch ein Feuermal entstellten Verkäufer einer Obdachlosenzeitung, Jonathan, und so unwahrscheinlich die Verbindung zwischen den beiden auch sein mag, es entsteht eine vorsichtige, Distanz wahrende und den anderen auslotende Freundschaft. Anfangs mehr zufällig kehrt die Frau wieder und wieder an die Verkaufsstellen von Jonathan zurück, später wird daraus ein Ritual, dem vor allem sie entgegenfiebert, denn ohne die Konventionen von Small Talk und Unverbindlickeit bei neuen Bekanntschaften einzuhalten, erzählen die beiden sich bald ihre Kindheitserinnerungen, die sich gar nicht so besonders unterscheiden.
Panischer Frühling in London
Die Begegnung dieser beiden unterschiedlichen Menschen, die sich durch die gleich gelagerten Emotionen während ihrer Kindheit auf sehr zurückhaltende Art einander öffnen, scheint nur möglich, weil sich etwas in der Welt – äußerlich gesehen der Flugverkehr – geändert hat. Dem Stream of Consciousness der Erzählerin folgend erlangt man dabei Eindrücke aus ganz unterschiedlichen Zeiten, aus einer Kindheit, die in den Sommermonaten in den Schweizer Bergen verbracht wurde, und einer in Penzance verbrachten, in der die Londoner Kinder vor den Bombenangriffen des 2. Weltkriegs in Sicherheit gebracht wurden. Gerade London, gerade die Anonymität der Großstadt bieten den Nährboden für unvoreingenommenes Vertrauen und eine vorsichtige, doch nie zögerliche Offenheit.
Panischer Frühling, dieser still erzählte, tiefe und manchmal etwas kühle Roman über den Wunsch nach Nähe, die durch geteilte Erinnerungen erlangt werden kann, überzeugt durch seine Sprache und seine Vielschichtigkeit, durch die miteinander verwobenen Momentaufnahmen zweier Leben, die wie ein Mosaik ein zusammenhängendes Ganzes bilden.
Panischer Frühling ist nominiert für den Deutschen Buchpreis 2014.