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Wie im Märchen, nur wahr

von Yvonne

Die Pfaueninsel in der Havel war bereits im 19. Jahrhundert immer wieder beliebter Schauplatz von Versuchen, Dinge anders zu machen als woanders. Von Friedrich Wilhelm II. dazu auserkoren, Heimat eines Lustschlosses für sich und seine Geliebte zu werden, siedelte er Pfauen auf der Insel an, um dem ursprünglichen Namen „Pfauenwerder“ – der zwischenzeitlich durch „Kaninchenwerder“ abgelöst worden war – gerecht zu werden. Sein Sohn Friedrich Wilhelm III. ließ die Insel zur Touristen-Attraktion ausbauen: ein fast ganzjährig blühender Rosengarten, eine Menagerie mit Känguruhs, Nashörnern und einem Löwen, und auch Menschen, die man nicht überall sehen konnte, wurden angesiedelt, darunter ein „Riese“ und zwei „Zwerge“.

Marie, die mit ihrem Bruder Christian – kleinwüchsig wie sie selbst – als Kind auf die Insel gebracht wird und dort aufwächst, weiß schon sehr früh, dass die Menschen, die sie nicht kennen, sie abstoßend finden, in ihr etwas sehen, das nichts mit ihnen zu tun hat und das sie am liebsten weit weg wüssten: ein Monster. Doch die Gelegenheiten, dass sie Kontakt zu Fremden hat, sind ohnehin gering. Christian und sie wachsen bei einer Pflegefamilie auf, sind aufgenommen wie eigene Kinder und finden Förderung und Unterstützung bei ihrem „Ziehvater“, dem Hofgärtner Fintelmann. Dessen Sohn Gustav, drei Jahre jünger als Marie, schließt Freundschaft mit den Geschwistern, und je älter Marie wird, desto bewusster wird ihr, dass sie Gustav liebt. Christian, der sich zu seiner Schwester hingezogen fühlt, zieht sich mehr und mehr von ihr zurück, doch das führt nicht dazu, dass Gustav und Marie einander näher kommen können, denn Gustav seinerseits liebt zwar Marie, doch eher wie eine Schwester oder vielmehr wie die Schwester des Menschen, für den sein Herz eigentlich schlägt.

Zu den Schwierigkeiten mit Gustav, die sie auf ihr Äußeres zurückführt und die ihr wieder einma. deutlich machen, dass sie ihr Leben lang am Rande stehen wird, kommen tiefgreifende Veränderungen auf der Insel. Der König stellt einen jungen Gärtner ein, der frischen Wind in die Anlagen bringen soll, und siedelt all die exotischen Tiere, die man als König geschenkt bekommt, auf der Pfaueninsel an. In der Folge wird die Insel für Besucher geöffnet, und aus Maries Zuhause wird ein Zoo, dessen Bewohner sie ist.

Unmögliche Liebe auf der Pfaueninsel

Pfaueninsel ist ein sehr genau recherchierter Roman über eine unmögliche Liebe, die die Grenzen der Gesellschaft nicht überschreiten kann. Seien es Vorbehalte auf Grund einer körperlichen Abweichung von der Norm, inzestuöse Tendenzen oder die Liebe zu jemandem des eigenen Geschlechts – in dem Dreiecksverhältnis zwischen Marie, Christian und Gustav hat keiner eine Chance, seine Liebe wirklich zu leben.

Mit Marie als Hauptperson, die sich auch immer wieder Beleidigungen und Ausgrenzungen anhören darf, spielt natürlich das Empfinden von Schönheit eine wichtige Rolle in dem Roman. Von frühester Kindheit an wird Marie eingeprägt, dass sie und ihr Bruder nicht schön sind, dass aber jeder andere zumindest die Möglichkeit hat, als schön zu gelten. In der künstlichen Welt der Pfaueninsel wird sie nicht viel anders wahrgenommen als ein Spielzeug, als ein weiteres exotisches Sammlerstück, das man ausstellen und sich ansehen kann.

Die Figuren des Romans sind historisch belegt, natürlich unterschiedlich detailliert, und Thomas Hettche befasste sich im Vorfeld des Romans lange und intensiv mit der Geschichte der Pfaueninsel.

Pfaueninsel steht auf der Longlist für den Deutschen Buchpreis 2014.

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