Selten haben Facebook, Apple und YouTube geschlossen so klar Position bezogen wie gegenüber Alex Jones. Alex Jones ist ein US-amerikanischer Journalist und Radio-Moderator, doch diese Bezeichnungen werden seinem zweifelhaften Treiben und Ruhm kaum gerecht. Jones sät mit seinen rechten Tiraden Hass und bringt seine Hörer dazu, diesen noch zu steigern und in die reale Welt zu tragen.
Bekanntestes Beispiel: Nach dem Amoklauf an der Sandy Hook-Grundschule Ende 2012 behauptete Jones, dass die ganze Story erfunden sei, die Eltern in Wahrheit Schauspieler seien und die 20 Kinder, die erschossen wurden, niemals existiert hätten. Treue Anhänger von Jones‘ Radiosendung sahen sich in der Folge berufen, die Angehörigen der Opfer zu bedrohen, um endlich „die Wahrheit“ zu erfahren.
Warum Jones das tut, ist relativ einfach. Er verdient Geld damit, Ängste zu schüren und passend dazu seine eigenen Produkte zu verkaufen: DVDs, Waffen und Medikamente sind nur einige der Dinge, die er in seinem Online-Sortiment vertreibt. Dass ein Verschwörungstheoretiker und -unternehmer wie Alex Jones so großen Anklang findet und so erfolgreich seinen Hass auf die Welt loslassen kann, ist die eigentlich schwierigere Frage. Offensichtlich gibt es bei vielen Menschen ein Bedürfnis nach solchen Geschichten, die Ressentiments bedienen und Vorurteile bestätigen. Und die vor allem die Welt noch ein wenig dramatischer machen, als sie ohnehin schon ist.
Tragische Geschichte von Sabrina
In seiner Graphic Novel Sabrina erzählt Nick Drnaso eine Geschichte, die auch ohne dahinter liegende Verschwörungstheorie schon schlimm genug ist. Denn eines Tages kehrt Sabrina, 27 Jahre alt, einfach nicht nach Hause zurück. Eine der vielen Überwachungskameras zeigt sie noch einen Häuserblock von ihrer Wohnung in Chicago entfernt, danach gibt es kein Lebenszeichen der jungen Frau mehr. Ihre Schwester Sandra und ihr Freund Teddy sind am Boden zerstört. Sandra sucht Unterstützung in einer Selbsthilfegruppe und Teddy findet Unterschlupf bei seinem alten Schulfreund Calvin, den er schon jahrelang nicht mehr gesehen hat.
Die Medien berichten über den Fall, verlieren jedoch schnell das Interesse. Dies ändert sich, als ein Video auftaucht – verschickt an etliche Redaktionen, Politiker und Personen des öffentlichen Lebens -, das Sabrinas Mord zeigt. Ihr Mörder, der seine Absender-Adresse angegeben hat, hat sich zwischenzeitlich umgebracht. Auch, wenn die Polizei alles daran setzt, die Veröffentlichung des Mord-Videos zu verhindern, findet es natürlich dennoch seinen Weg ins Internet und erregt die Neugier der Massen.
Teddy erreicht seinen persönlichen Tiefpunkt. Den ganzen Tag sitzt er in seinem Zimmer bei Calvin und schafft es nicht einmal, sich mehr als eine Unterhose anzuziehen. Er hört einer Radiosendung zu, die der von Alex Jones nachempfunden ist und in der der Moderator behauptet, das Ermordungsvideo sei von der Regierung lanciert worden, um schärfere Waffengesetze durchzusetzen. Die Namen von Sabrinas Angehörigen werden genau so lanciert wie der von Calvin, der obendrein noch beim Militär arbeitet. Alle erhalten in der Folge Drohungen von Menschen, die sich auf die Fahne geschrieben haben, die „Wahrheit“ ans Licht zu bringen.
Angst und Misstrauen als Macht-Instrument
Drnaso erzählt eine leider viel zu realitätsnahe Geschichte darüber, wie Menschen gerne glauben, was möglichst viel Drama-Potenzial hat, und nicht das, was am wahrscheinlichsten ist. Angst und Misstrauen werden so lange durch „Journalisten“ und selbsternannte Aufklärer verbreitet, bis sich daraus die Rechtfertigung ableitet, Gewalt anzuwenden. Im Umfeld von Alex Jones‘ Radiosendung ist dies bereits passiert. Viel häufiger machen noch populistische Politiker und Politikerinnen davon Gebrauch, weil sich durch den Wunsch nach Auflösung eines abstrusen Geheimnisses, das alles erklärt, Menschen so schön manipulieren und instrumentalisieren lassen. Von „selbst denken“ ist leider auch rund 250 Jahre nach Kant nicht allzu viel übrig geblieben.
Dies spiegelt sich auch im Medium wider, das Drnaso für seine Erzählung wählte. Die Graphic Novel – seine zweite – schafft es in wenigen Bildern, die beispielsweise Sabrina allein zuhause zeigen oder Teddy nachts in den Straßen von Calvins Wohnort (beide auf der Suche nach einer verschwundenen Katze), Angst und Misstrauen auch beim Leser zu erzeugen. Jeder Blick, jedes Geräusch, jede Abwesenheit von Sprache entwickelt man beim Lesen fast zwangsläufig zum Schluss, dass gleich etwas Schlimmes passieren wird. Was jedoch nicht der Fall ist.
Diese in Büchern, Filmen und erzählten Geschichten erlernte Erwartung, dass jedes Geschehen eine tiefere Bedeutung haben muss, übertragen die Verschwörungstheoretiker auf die Realität. Und verpassen dabei den Punkt, ab dem eine solche Haltung gefährlich wird – vor allem für andere.
Neben solchen an Filmsequenzen erinnernden Passagen enthält Sabrina auch textlastige Stellen zeigen, welchen Einfluss Worte haben können. Nichts passiert über etliche Panels hinweg, außer dass jemand spricht, schreibt oder liest. Und doch verändert sich gerade durch diese Worte das meiste. Diese Worte sind es, die die Angst in den anderen Bildern erzeugen. Entsprechend gewählte Worte, die gezielt auf die Emotionen und nicht den Intellekt abzielen, können dazu führen, dass niemand sich mehr sicher fühlt, wenn er allein ist. Und genau das ist das Ziel von Hasspredigern und Populisten. Denn Menschen, deren Grundbedürfnis nach Sicherheit nicht gestillt zu sein scheint, sind bereit, auf andere Dinge wie Freiheit, Geld oder den gesunden Menschenverstand zu verzichten, um sich wieder sicher zu fühlen.
Nick Drnaso ist aktuell mit Sabrina für den Man Booker Prize 2018 nominiert, womit zum ersten Mal überhaupt eine Graphic Novel auf der Longlist des Literaturpreises steht.
Erster Satz: There you are!