Es geht verwirrend zu in Wolfgang Herrndorfs „Sand“. Es ist das Jahr 1972, in München überfallen palästinensische Terroristen das olympische Dorf und im nicht näher benannten nordafrikanischen Staat, der den Schauplatz für „Sand“ bildet, kommen die letzten Schwingungen des Attentats an. Und auch wieder nicht. Der Dorfpolizist macht im betrunkenen Zustand einen IQ-Test und wundert sich über das absolut durchschnittliche Ergebnis (nachdem der Leser ihn näher kennengelernt hat, wundert sich keiner mehr), mitten im Armutsviertel legt ein Luxs-Kreuzfahrtsschiff an, dessen Passagiere im die Müllberge überblickenden Sheraton absteigen, in einer Hippie-Kommune wird ein Massaker verübt, bei dem trotz der zahlreichen Zeugenaussagen nicht klar ist, ob der Hauptverdächtige tatsächlich der Täter ist, und irgendwo in der Wüste wacht auf dem Dachboden einer Scheune ein Mann auf und weiß nicht mehr, wer er ist. Und damit ist das endlos scheinende Personal, das Wolfgang Herrndorf in seinem bereits mit dem Preis der Leipziger Buchmesse 2012 ausgezeichneten und nun auf der Longlist für den Deutschen Buchpreis 2012 nominerten Roman auffährt, noch lange nicht erschöpft.
Wo man hinschaut – Sand
Doch der Reihe nach – so weit das bei diesem Buch überhaupt möglich ist. Der eingangs erwähnte Polizist Polidorio bekommt eines Tages ungebetener- und lästigerweise ein ungewöhnliches Paket vor die Füße gelegt, um das er sich kümmern soll: Amadou Amadou soll vier Bewohner einer Hippie-Kommune ermordert haben, wobei er von so vielen Menschen beobachtet wurde, dass eigentlich keine Zweifel an seiner Schuld bestehen können. Doch Amadou Amadou streitet alles ab, und in Polidorio sind erste Zweifel gesät.
Etwa zeitgleich ewacht in der Wüste ein Mann, der sich später mangels anderer Möglichkeiten einfach Carl nennt, mit einer Wunde am Kopf und ohne Gedächtnis auf einem Dachboden. Was er von dort aus sieht, reicht, um zu wissen, dass er in Schwierigkeiten steckt: Drei, später vier, nicht wirklich freundliche Zeitgenossen sprechen davon, dass sie jemanden – wohl Carl – mit dem Wagenheber außer Gefecht gesetzt haben und dass sie nun einem zweiten Mann, den sie Cetrois nennen, folgen müssen. Carl schafft es, von dem Dachboden zu entkommen und sich vor der Gangster-Truppe zu verstecken, doch ab jetzt ist er auf der Flucht. Zum Glück trifft er an einer Tankstelle auf die amerikanische Touristin Helen Gliese, die bereit ist, ihm zu helfen.
Offensichtlich ist Carl in Schmuggel- oder Spionage-Tätigkeiten verwickelt, wie er nach und nach herausfindet. Seine Gegner und Verfolger werden immer zahlreicher und gefährlicher, und außer Helen gibt es niemanden, dem er vertrauen kann.
Spannender Spionage-Thriller
Ich wusste nicht allzu viel über „Sand“, bevor ich es gelesen habe, und war vor allem eins: überrascht. Das Buch ist trotz der vielen Handlungsstränge und zahlreichen Figuren sehr spannend zu lesen und vor allem sehr „undeutsch“. Man sollte allerdings nicht über zu schwache Nerven verfügen, da das Buch auch einige heftige Szenen enthält. Wer das aushalten kann, wird mit einem fesselnden und anspruchsvollen Thriller belohnt.
Infos zum Buch
Sand
Wolfgang Herrndorf
480 Seiten
Erstausgabe 2011
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