Es ist so kurz, wirr und schrill, Sam, weil über ein Blutbad sich nichts Gescheites sagen lässt.
Mit diesen Worten „entschuldigt“ sich Kurt Vonnegut bei seinem Verleger für seinen Roman „Schlachthof 5 oder Der Kinderkreuzzug“, der wohl einen der ungewöhnlichsten Antikriegsromane überhaupt darstellt. Denn obwohl die Zerstörung Dresdens im Zweiten Weltkrieg eine zentrale Rolle spielt, ist Hauptfigur Billy Pilgrim kein tapferer Kämpfer, kein zweifelnder Kriegsgegner, kein sich zum Helden aufschwingender Sonderling, sondern einfach ein etwas seltsamer junger Mann, Amerikaner und im Grunde noch ein Kind, als er nach Luxemburg geschickt wird, um dort zu kämpfen.
Doch schneller als er sich überhaupt in diese Situation einfügen kann, ist er der letzte Überlebende eines Angriffs auf seine Kompanie, schlägt sich kurz allein durch, trifft auf ein paar weitere verstreute amerikanische Soldaten und wird schließlich von den Deutschen aufgelesen und als Kriegsgefangener nach Dresden gebracht, wo er die Bombenangriffe in einem zum Gefängnis umfunktionierten Schlachthof – dem titelgebenden Schlachthof 5 – er- und überlebt. Etwas Heldenhaftes sucht man dabei vergebens an Billy Pilgrim.
Er war ein komisch aussehendes Kind, das ein komisch aussehender junger Mann wurde – groß und schwach, und mit der Gestalt wie eine Coca-Cola-Flasche.
Natürlich macht allein das „Schlachthof 5“ weder wirr noch schrill – und im Grunde ist der Roman auch keins von beidem. Allerdings ist das Leben von Billy Pilgrim so außergewöhnlich, dass sein Blick auf die Welt, die Menschen, den Krieg gar nicht gewöhnlich sein kann. Denn Billy Pilgrim hat sich von der Zeit gelöst, und ungeplant und unvermittelt besucht er immer wieder Stationen seines Lebens, die weit in der Vergangenheit oder Zukunft liegen, darunter auch seinen eigenen Tod, der eine späte indirekte Folge seiner Kriegsgefangenschaft ist.
Freier Wille oder Unvermeidbarkeit?
Die Zeitreisen, das Sehen seines eigenen Tods und die Tatsache, dass sein Leben die gewöhnliche Chronologie verlassen hat, machen Billy zum Fatalisten. Denn ganz offensichtlich steht längst fest, was passieren wird, also kann man auch nichts daran ändern.
Unter den Dingen, die Billy Pilgrim nicht ändern konnte, waren die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft.
Und ein weiteres einschneidendes Erlebnis bringt Billy in eine besondere Beziehung zur Zeit: seine Entführung zum Planeten Tralfamadore in der Nacht der Hochzeit seiner Tochter. Die Außerirdischen, die Billy in ihrer Heimat im Zoo ausstellen, sehen in vier Dimensionen und können das, was Billy gelegentlich und vor allem in großer Verzweiflung passiert, ständig und ganz natürlich: alle Zeitpunkte eines Lebens besuchen. Und sie wundern sich darüber, dass auf der Erde überhaupt von freiem Willen die Rede ist.
Billy geht – sehr zum Missfallen seiner Tochter – mit seinen Erlebnissen und seinem Wissen um das Wesen der Zeit an die Öffentlichkeit, findet sein Publikum und wird zum berühmtesten Menschen der Welt. Auch dies führt letztlich zu Billys Tod – doch da ohnehin vorher alles feststeht, gibt es für ihn auch keine Möglichkeit, das zu ändern.
Neben der faszinierenden und traurigen Geschichte hat mich vor allem Kurt Vonneguts Schreibstil in „Schlachthof 5“ in den Bann gezogen. Sachlich-nüchterne, kurze Sätze, die grammatikalisch unverbunden nebeneinander stehen, als wäre nicht einer die Folge des anderen, sondern als wäre das einzige, das sie miteinander zu tun haben, die Tatsache, dass sie existieren, bringen ein Gefühl der Unveränderlichkeit mit sich und erzeugen vom ersten Kapitel an beim Lesen eine melancholische Stimmung, die man ein Stück weit auch mit aus dem Buch nimmt.
Eine kleine Rauchfahne schwebte über der Unendlichkeit. Dort tobte eine Schlacht. Menschen starben dort. So geht das.
Das immer und immer wiederkehrende „So geht das.“, das nach jedem Satz folgt, der von Tod handelt, trägt zu dieser Melancholie ebenso bei wie das erste Kapitel, in dem die Entstehungsgeschichte von „Schlachthof 5“ im Rahmen einer Metafiktion beschrieben wird. Kurt Vonnegut selbst hat den Bombenangriff auf Dresden in einem Schlachthof zugebracht, und Teile des Romans sind autobiographisch. Der Erzähler im ersten Kapitel erklärt, wie er seine Geschichte über Dresden sein Leben lang mit sich herumgetragen hat und wie er ein großes Buch über die Angriffe schreiben wollte, letztlich aber nur eine sehr kurze Geschichte zustande gebracht hat. Denn schließlich lässt sich über ein Blutbad nichts Gescheites sagen.
„Schlachthof 5“ wurde 1972 von George Roy Hill, der auch in der Verfilmung von „Garp und wie er die Welt sah“ Regie führte, verfilmt.
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Infos zum Buch
Schlachthof 5 oder
Der Kinderkreuzzug
(Slaughterhouse-Five,
or The Children’s Crusade:
A Duty-Dance with Death)
Kurt Vonnegut Jr.
208 Seiten
Erstausgabe 1969
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Dieser Artikel gehört zu unserer Themenwoche über Zeitreisen.
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