Jacob ist Soldat während des Ersten Weltkriegs, und der Einsatz seiner Truppe bringt ihn in die Karpaten. Dort versucht er, sich selbst unter den anderen einzuordnen, und bleibt doch dauerhaft Beobachter und damit außen vor. Die Schwarz-Weiß-Malerei des Krieges, die Klarheit, mit der in richtig und falsch unterschieden wird, liegt Jacob nicht, und so ordnet er lieber seine Kameraden in fünf Kategorien ein, als sich selbst wirklich zu ihnen zu zählen.
Sie sollten Feinde sein, und lasen doch dieselben Bücher.
Ein Sondereinsatz beim Leutnant bringt Jacob für einige Tage auf dem Bauernhof einer Familie unter, deren Leben sich dadurch nachhaltig verändert. Jacob, dessen Bruder Henri immer etwas anders war als die anderen, findet in Luise, einer der Töchter, jemanden, der ihn an Henri erinnert, und in Bauersfrau Alma jemanden, der ihm Trost spendet.
Jacob kannte diese Sätze. Sätze, die eingrenzten, festschrieben, klein machten. Sie hatten oft seinem Bruder gegolten. Da es Henri gab, Zielscheibe des Wunderns, des Spotts, des Unverständnisses, hatte er selbst nicht viel abbekommen. Seine eigenen Verfehlungen, seine eigene Untauglichkeit hatten die Eltern nicht wahrgenommen. Als wäre Henri ein Schutzschild, der Punkt, wo der Blitz einschlug, die Weide auf offenem Feld.
Almas Tochter Henriette, die eigentliche Hauptfigur in So tun, als ob es regnet, setzt das unkonventionelle Leben ihrer Familie fort. Mit Forscherdrang und ohne feste Bindungen führt sie schon in der Mitte des 20. Jahrhunderts das Leben einer emanzipierten und eigenständigen Frau, die sich an keinerlei Regeln und Vorschriften hält, und damit das Leben ihrer Nachfahren in eine bestimmte Richtung lenkt.
Se face că plouă, so tun als ob es regnet, nannte ihre Mutter diese Abwesenheit, die sich immer einstellte, wenn Henriette etwas langweilte oder sich sehr beschäftigte, andere im Gespräch waren oder auf sie einredeten, oder wenn sie ihr etwas auftrug, das sie nicht mochte.
So tun, als ob es regnet: Eine Geschichte der Geschichte
So tun, als ob es regnet erzählt in vier einzelnen, miteinander verwobenen Geschichten die Entwicklung einer Familie über vier Generationen hinweg. Gemeinsam ist den jeweiligen Hauptfiguren der einzelnen Erzählungen, dass sie alle unangepasste Charakteren sind. Eigentlich passen sie nicht in ihre Zeit und dennoch gehen sie ihren Weg. Alle versuchen sie, einen Platz im Leben finden, selbst wenn dies nicht immer einfach oder gar möglich ist. Denn ebenfalls in allen Erzählungen spielt die Geschichte eine Rolle, seien es die Weltkriege oder der Kalte Krieg, die die Protagonisten davon abhalten, all ihre Möglichkeiten auszuschöpfen.
Wer konnte sagen, ob ihr mehr zugestanden hätte, ob ein anderer Weg glücklicher gewesen wäre? Welche Entscheidung war wichtig, eine, die wirklich etwas bedeutete? Vielleicht war es zuletzt lächerlich gleichgültig. Jedes Ziel, jeder Wunsch diente dazu, irgendwo anzukommen, und wenn man nicht aufpasste, versäumte man den Moment, in dem man mit allen Sinnen spürte, wo man war.
Natürlich ist So tun, als ob es regnet auch eine Geschichte über Familie, über Generationen und über das Erbe, das von Generation zu Generation weitergegeben wird. Denn die Protagonisten ähneln ihren Vorfahren sehr, auch wenn sie dies nicht immer wahrhaben wollen. Der Roman ist außerdem eine Geschichte von Müttern und Vätern, die ihren Kindern nicht immer so nah sind, wie sie es vielleicht gerne wären. Von Kindern, die sich für ihre Eltern ein besseres Leben wünschen. Und darüber, wie selbst diejenigen nicht aus ihrer Haut können, die die ganze Zeit nichts anderes zu tun scheinen. Man kann den Roman nicht umhin, ohne eine gewisse Nostalgie, ein Bedauern für die verpassten Gelegenheiten der Hauptfiguren zu verspüren.
Er wünschte sich, dass sie irgendwann zur Ruhe kommen, den richtigen Standpunkt finden würde. Jene Perspektive, aus der die Welt für sie keine Fehler hatte.
Faszinierender Roman über Gesellschaft, Familie und Individuen
So tun, als ob es regnet ist sowohl sprachlich als auch thematisch ein äußerst vielseitiger und ansprechender Roman. Das Grundthema – wo komme ich her? wer bin ich? was macht mich aus? – sowie die Verwebung von persönlicher und historischer Geschichte machen diesen Roman zu einem Buch, dass einem nach dem Lesen noch lange zu Denken gibt.
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So tun, als ob es regnet von Iris WolffErschienen 2017 bei Otto Müller | Anzeige |
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So tun, als ob es regnet von Iris WolffErschienen 2017 bei Otto Müller |
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Schon lange habe ich mir in einem Buch nicht mehr so viele Stellen markiert, die mich angesprochen, getroffen oder einfach nur fasziniert haben. Bei gerade einmal 166 Seiten, die dieses Buch mitbringt, ist das umso erwähnenswerter. Für mich ist So tun, als ob es regnet definitiv eine der bewegendsten und faszinierendsten Entdeckungen dieses Lesejahrs.