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Verflucht (Chuck Palahniuk)

von Yvonne
Cover "Verflucht" (Chuck Palahniuk)

Cover „Verflucht“ (Chuck Palahniuk)

Es ist so leicht, ein schlechter Mensch zu sein. Wenn man zum Beispiel Windeln für seine kleine Schwester klaut, landet man schnurstracks in der Hölle. Oder wenn man in seinem Leben zu oft hupt – das nervt ja auch echt. Sonntags die falsche Kleidung tragen? Sollte man besser sein lassen. Und darauf, ins Schwimmbecken zu pinkeln, verzichtet man am besten nicht nur aus Rücksicht auf seine Mitmenschen. Fluchen ist ok, aber man muss schon darauf achten, sein lebenslanges Kontingent nicht auszuschöpfen, denn sonst – genau – ab in die Hölle. Madison Spencer ist 13, als sie in einer siffigen Zelle im Reich des Teufels landet, deren Boden mit der Art Süßigkeiten zugeplastert ist, auf die nicht mal Satans Dämonen abfahren. Sie weiß zwar nicht genau, wie sie gestorben ist und erst recht nicht, womit sie ihre Höllenstrafe verdient hat, aber irgendwas wird sie schon getan haben, schließlich ist die Liste der möglichen Vergehen endlos wie die Verweildauer in ihrer neuen Heimat.

Der erste Schock ist schnell überwunden, denn offensichtlich ist Maddy im Teenager-Trakt gelandet, wo sie – im Gegensatz zu ihrem früheren Leben – schnell Anschluss findet. Mit ihren neuen Freunden, allen voran der Punk Archer, der dann doch noch ein bisschen mehr für seinen Aufenthalt in der ewigen Verdammnis getan hat, als nur Windeln zu stehlen, erkundet Madison schnell das ungastliche Terrain der Hölle, lernt die verschiedenen Dämonen persönlich kennen und erlebt ihre ersten Tage eher wie eine Runde Nachsitzen am Samstag – und auch sie selbst fühlt sich stark an „Der Frühstücksclub“ erinnert.


 

Verflucht: Maddy räumt die Hölle auf

In ihrer neuen Fünfer-Gruppe ist Madison eher die Ally Sheedy, die Außenseiterin, für die der Aufenthalt in der Hölle immer noch besser ist, als alleine zu Hause rumzusitzen. Dabei wirkt ihr Hintergrund erst mal ziemlich glamourös, denn Maddys Eltern sind bekannte Hollywood-Größen, die nicht nur schön, reich und erfolgreich sind, sondern sich ganz zeitgemäß auch ungemein sozial engagieren. Der Privatjet ist nur mit natürlichen Materialien ausgekleidet, und jedes Jahr bekommt Maddy einen neuen Adoptivbruder oder eine neue Adoptivschwester aus einer benachteiligten Gegend der Welt, auf die die tolle Chance wartet, einen Monat lang die Titelseiten der Klatschblätter zu zieren und anschließend in einem Internat auf ein besseres Leben vorbereitet zu werden. Maddys letzter Adoptivbruder ist Goran, der für sie mehr als nur eine der zahllosen Trophäen ihrer Eltern ist, denn seine mürrische und unnahbar wilde Art hat es ihr so sehr angetan, dass sie noch aus der Ewigkeit nach ihm schmachtet.

Doch bevor sie ihren Gedanken an die Vergangenheit nachhängen kann, muss Madison sich erst mal um die sehr lange Zukunft kümmern, denn auch in der Hölle zahlt sich die Miete nicht von selbst. Aus den Job-Möglichkeiten Internet-Porno und Telefon-Marketing wählt Maddy die zweite, und fortan sind ihre Tage damit gefüllt, Menschen durch unsinnige Anfragen vom Essen abzuhalten. Da die einzigen, die Telefon-Marketing nicht ausschließlich unverschämt und nervig finden, die Einsamen und Kranken sind, findet Maddy schnell Bekannte unter den Lebenden, denen sie die Angst vor dem Tod nimmt und die sie bald wiedertreffen wird. Denn: Das Gute an der Zero Tolerance-Strategie des Teufels ist, dass über kurz oder lang so ziemlich jeder seinen Weg in die Hölle antreten muss. Und so stehen auch die Chancen nicht schlecht, irgendwann ein Wiedersehen mit Goran zu feiern.

„Verflucht“ ist spannend, witzig und manchmal auch ein bisschen eklig, wenn die einzelnen „Landschaften“ der Hölle beschrieben werden, die aus den Dingen bestehen, von denen auf der Erde am liebsten vergessen wird, dass es sie gibt – und da sind bergeweise abgeschnittene Fuß- und Fingernägel, in die Maddy sich auf der Flucht vor einer Dämonin eingräbt, noch das netteste. Wie die anderen Bücher von Chuck Palahniuk ist auch sein gerade auf Deutsch erschienener aktueller Roman „Verflucht“ eine rasante Mischung aus Fantasie und Realität, angereichert mit genau beobachteten und recherchierten Details und einem kritischen Blick auf unsere Gesellschaft, die – und das sagt auch Maddy mehr als einmal – der Hölle ja gar nicht so unähnlich ist. Darüber hinaus hat Palahniuk mit Madison Spencer eine Hauptfigur erschaffen, die inmitten einer aus materiellem Reichtum entsprungenen Kälte auf sich allein gestellt ist und gerade aus dieser Isolation heraus bewundernswerte Kraft und Güte schöpft, ein Mädchen, das sich nicht sagen lässt, sie sei mit 13 für irgendwas zu jung oder zu dumm, das es nicht einsieht, abzunehmen, sich aber genau so wenig vorschreiben lässt, dass schlaue Mädchen nicht wie alle anderen auch auf Schuhe stehen dürfen. Nicht umsonst zieht Maddy an Halloween als Simone de Beauvoir verkleidet durch die Straßen, denn furchteinflößend können nicht nur Dämonen sein. An ihrer Seite bei diesem Fest, an das sie sich in der Hölle erinnert: Goran, natürlich verkleidet als Sartre. Der Existentialismus, den die beiden verkörpern, prägt Maddys gesamten Nach-Lebensentwurf, in dem es der Teenager schafft, selbst aus dem schlimmsten vorstellbaren Platz noch einen Ort zu machen, an dem nicht nur sie sich zu Hause fühlt. Vor allem aber zeigt Maddy, dass es manchmal auch gar nicht so schwierig ist, ein guter Mensch zu sein.

Chuck Palahniuk, der mehr als zehn Romane veröffentlicht hat, ist hierzulande immer noch vor allem auf Grund seines Debütromans „Fight Club“ bzw. der gleichnamigen Verfilmung mit Brad Pitt und Edward Norton bekannt.  Wer das für sich selbst ändern will, ist mit „Verflucht“ auf jeden Fall gut bedient.

Infos zum Buch

Verflucht
(Damned)
Chuck Palahniuk
304 Seiten
Erstausgabe 2013 (Original 2012)


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