Geben wir’s doch zu: Am spannendsten finden wir das, was wir ganz sicher nicht wissen können. Das Interesse an der Zukunft, die Faszination von Science Fiction, kommen wohl auch daher. Denn natürlich möchte man wissen, wie es weiter geht, wenn man selbst nicht mehr da ist.
Für Graham geht der Wunsch, einen Blick in die Zukunft zu werfen, in Erfüllung. Ende des 19. Jahrhunderts lebt der bekennende Sozialist in London. Sein größtes Problem: Er leidet unter Schlafstörungen. Er experimentiert mit Medikamenten, und schließlich hilft ihm sogar etwas, allerdings deutlich besser als gedacht. Graham fällt in einen koma-ähnlichen Schlaf, aus dem er erst 203 Jahre später, im Jahr 2100 wieder erwacht.
Während Graham schlief, ist jedoch einiges passiert, und das meiste davon hat sogar mit ihm zu tun. Sein Cousin und ein Freund haben dafür gesorgt, dass Grahams Geld gut angelegt wird, und in 203 Jahren ist sein bescheidenes Startkapital zum größten und unerreibaren Reichtum der Welt angewachsen. Mit Hilfe dieses Vermögens wird die Welt regiert, die zu mehr als der Hälfte Graham gehört. So richtig passend ist es also nicht, dass er erwacht, denn um „den Schläfer“ herum hat sich ein politisches System entwickelt, dass auf der unterschiedlichen Verteilung der Besitztümer basiert. Graham wird zunächst von der Außenwelt abgeschottet, doch bald erfährt die Öffentlichkeit von ihm – und er von der Öffentlichkeit.
Wenn der Schläfer erwacht, ist die Welt eine andere
Der dystopische Plot von Wenn der Schläfer erwacht, kann nicht darüber hinweg täuschen, dass es sich bei dem Roman vor allem um ein politisches Buch handelt, bei dem Autor H. G. Wells seine eigene Gegenwart vor Augen hatte. Die kapitalistischen Tendenzen, die er Ende des 19. Jahrhunderts beobachtete, führt er geschickt ins Extreme und in die Zukunft fort und zeigt somit, wohin die Ungleichverteilung des Reichtumgs auf der Welt führen kann.
Mit der ersten Fassung seines Romans war Wells nicht zufrieden, so dass er 1911 eine überarbeitete Fassung veröffentlichte. Besonders spannend ist es natürlich, die Geschichte mehr als hundert Jahre nach der Entstehung zu lesen, und zu erkennen, inwieweit sich einige der Ideen Wells‘ tatsächlich verwirklicht haben.
Wenn der Schläfer erwacht ist einerseits ein Klassiker der Science Fiction-Literatur, andererseits aber ein hochaktueller Roman über soziale Ungleichheit und ihre Folgen.