Sie sind Anwälte, Journalisten, Bankiers, Schauspieler oder Bridge-Spieler. Eins haben alle Figuren in Yasmina Rezas aktuellem Roman Glücklich die Glücklichen gemein: Sie sind gestandene, erfolgreiche Menschen, die es in Beruf und Gesellschaft nach allgemein herrschenden Maßstäben zu etwas gebracht haben. Dennoch fehlt ihnen etwas ganz Entscheidendes: das persönliche Glück im Leben, oder – noch genauer – das Gefühl, glücklich zu sein. So streiten sich die Ehepaare, betrügen sich, Alleinstehende hoffen darauf, dass ihnen endlich jemand vom Himmel geschickt wird und Verlassene versuchen, sich keine allzu große Blöße zu geben, wenn sie dem Subjekt ihrer Begierde doch immer wieder nachstellen.
In verschiedenen kurzen Kapiteln erzählt Yasmina Reza aus der Sicht wechselnder Hauptfiguren Alltagsepisoden, in denen sich stets eine Unzufriedenheit mit dem eigenen Leben und dem Ergebnis der eigenen Entscheidungen spiegelt. Die Erzähler sind miteinander verbunden, es sind Ehepartner, Eltern, Kinder, Patienten und Fahrer, die da übereinander sprechen. Nachvollziehen kann man jeden, der sich über einen anderen ärgert, der sich in der Gesellschaft der anderen einsam fühlt und doch Momente des Glücks findet, die sich meist nicht in Nähe, Verständnis oder einer Eingebung äußern, sondern einfach in befreiendem und alles relativierendem Lachen. Am Ende jedoch bleibt fast bei allen ein Gefühl der Leere und der Sinnlosigkeit.
Die Gegenstände häufen sich an und dienen zu nichts mehr. Genau wie wir.
Über die verzweifelte Suche nach dem Glück
Egal, wie glücklich sie nach außen hin wirken, im Inneren kämpfen sie doch alle gegen die Einsamkeit und gegen den Zerfall dessen, was für die anderen wie das Glück aussieht. Dabei sind die kleinen, oft eigentlich belanglosen Szenen hervorragend beobachtet und auf die Spitze getrieben.
Das Ehepaar Toscano, das sich im Supermarkt um die richtige Käsesorte streitet und in diesen Streit ganz viel Unausgesprochenes legt, ist nur ein Beispiel für eine von vielen Situationen, in die man sich gut versetzen kann. Auch ihre besten Freunde, die Hutners, die eine vorbildliche Ehe führen, aber verheimlichen, dass ihr Sohn in der geschlossenen Psychiatrie ist, weil er sich für Céline Dion hält, sind ein Symptom einer Gesellschaft, in der das Erreichen von Glück als Maßstab des ultimativen Erfolgs gilt und somit selbst einem Leistungsdruck untersteht. Und so suchen die vielen miteinander verbundenen Protagonisten ihre persönliche Erfüllung immer woanders, so als könnte das eigene Leben gar nicht ausreichen, um etwas wirklich Gutes zu erleben. Und sind sich dabei durchaus bewusst, dass diese Suche sehr wahrscheinlich vergebens ist.
Es ist eine Dummheit zu glauben, Gefühle brächten einen näher, im Gegenteil, sie bekräftigen die Distanz zwischen den Menschen.
Der einzige, der wirklich sein Glück gefunden zu haben scheint, ist jener Dion-Fan, der sein Leben aus den Augen einer anderen Person sieht und alles, was nicht ins Bild passt, kurzerhand uminterpretiert.
Der ganz große Moment bleibt aus in Glücklich die Glücklichen, es sind vielmehr die kleinen Beobachtungen, die den Roman zu etwas Besonderem machen. Insofern ist Glücklich die Glücklichen auch gleichzeitig eine Metapher für die Suche nach dem eigenen Glück, denn schließlich findet man auch das eher in den vielen kleinen Augenblicken am Wegesrand als in den wenigen großen Ereignissen des Lebens.