Prekär nennt man wohl die Verhältnisse, in denen der 16jährige Luis aufwächst: eine Hochhaussiedlung, in der sich 12jährige durch Sprung aus dem 15. Stock das Leben nehmen, es „Generationenverträge“ im Abkassieren gibt, bei denen man sich altersmäßig hocharbeiten muss, und in der die Väter fehlen und durch die Jugendlichen ersetzt werden müssen.
Luis empfindet seine Situation allerdings als ganz und gar nicht schlecht. Sein bester Freund Milan ist vier Jahre älter als er und Chef der Gang, mit der Luis jedes Wochenende Bier, Wodka-Red Bull und Korn trinkend vor der Tankstelle abhängt, und Luis ist selbstverständlich Milans Stellvertreter bei dem Posten. Mit seiner Mutter versteht er sich hervorragend, die Nähe zwischen den beiden ist fast schon zu groß, und dass sie gerade keinen Mann hat, macht das Leben für Luis ebenfalls leichter. Eine Möglichkeit, seine besonderen Talente bei Mädchen zu Geld zu machen, hat Luis ebenfalls entdeckt. Mit seinen Kumpels schließen Milan und er „Fickwetten“ ab, die Luis fast immer gewinnt. Außerdem hat Luis längst herausgefunden, worauf es im Leben ankommt: Es bringen. Und ein Bringer ist er, nicht nur bei den Mädchen. Als sein eigener Trainer bringt er sich zur Höchstform, sei es, indem er die 15 Stockwerke zu seiner Wohnung jeden Tag zu Fuß läuft oder indem er, oben angekommen, auf dem Balkon steht und seine Höhenangst besiegt. Und wenn er mal nicht so hart sein muss, geht er zu Nutella, dem Pony eines Nachbarn, das sich jederzeit von Luis streicheln lässt – was die Freunde selbstverständlich nicht wissen.
Es bringen: Roman über eine verlorene Jugend
Als endlich die Freibad-Saison gekommen ist, könnte der Sommer für Luis nur noch Gutes bereit halten, doch Milan wartet mit einer Nachricht auf, die Luis völlig aus der Fassung bringt. Offensichtlich haben Milan und Luis‘ Mutter ein Verhältnis. Für den 16jährigen bedeutet das den gleichzeitigen Verlust seiner beiden wichtigsten Bezugspersonen und die Einsicht, dass er vielleicht doch kein Bringer ist. Der Einsamkeit folgt Kontroll-Verlust und Luis‘ Abstieg scheint unausweichlich.
Es bringen ist einer jener Coming-of-Age-Romane, deren Held unangepasst ist und genau weiß, was er will. Darin erinnert der Roman an Der Fänger im Roggen. Unsicherheiten, die sehr oft in Entwicklungsromanen eine Rolle spielen, kennt Luis nicht. Er hat einen Plan, einen Trainer und weiß, was er kann. Sein Verhalten scheint auf den ersten Blick weitaus erwachsener als seine 16 Jahre es vermuten lassen, doch der Umgang mit Mädchen, mit Alkohol, mit Freunden zeigt vor allem, dass die Vorbilder, die er hat, selbst nicht erwachsener sind als er und nicht wirklich für Orientierung sorgen können. Anfangs noch großmäulig und angeberisch wird Luis zunehmend verletzlicher, emotionaler und offener – und damit sehr sympathisch. Damit hat Autorin Verena Güntner ihrem Debüt-Roman eine Hauptfigur geschenkt, die vielschichtig, authentisch und dem Leser sehr nah ist. Die Sprache, die manchmal sehr deutlich ist, passt zu Luis‘ Umgebung und stellt einen starken Kontrast zu seinen nicht immer ganz so harten Empfindungen dar.
Verena Güntner wurde 2013 im Rahmen des Ingeborg-Bachmann-Wettbewerbs für Es bringen mit dem Kelag-Preis ausgezeichnet. Der Roman ist am 14.8. erschienen.