Lea, Rhein, Thames: Flüsse ziehen sich als Ort der Begegnung durch das Leben der namenlosen Ich-Erzählerin, die zumindest geographisch nahe der Biographie der Autorin Esther Kinsky unterwegs ist. In einem Londoner Vorort, am River Lea, macht sie sich, statt die Kisten auszupacken, die auch Wochen nach ihrem Umzug noch in ihrer Wohnung stehen, mit einer Polaroid-Kamera auf den Weg, ihre Umgebung zu erkunden.
Ist sie anfangs noch an den Menschen interessiert – an den Märkten, auf denen abends die nicht gewollten Überreste des Tages an die Ärmsten verkauft werden, an handelnden und bettelnden Bewohnern ihrer Nachbarschaft, an spazierenden Paaren – widmet sie sich nach einer Begegnung mit jemandem, der nicht fotografiert werden möchte, vor allem der Landschaft in ihrer Umgebung zu. Viel Zeit verbringt sie am Fluss, wo sie Baumstümpfe, Nebel und Vogelschwärme aufs Bild bannt.
Vereinzelt begegnet sie Menschen, die namenlos bleiben wie sie und die sie ein Stück an ihrem Leben teilhaben lassen. Und immer wieder driftet sie in ihre Erinnerungen ab, an andere Flüsse, ihre Kindheit am Rhein, den Vater, für den der Fluss zentrales Lebenselement und begehrtes Foto-Motiv war und an verschiedene Reisen, unter anderem auch nach London an die Themse.
Begegnungen am Fluss
Der Roman Am Fluß hat keine eigentliche Handlung, vielmehr besteht er aus beobachteten Szenen, einzelnen Begegnungen und Erinnerungen der Erzählerin. Immer wieder spielen Flüsse als verbindendes Element eine Rolle im Roman, bringen Vergangenheit und Gegenwart zusammen und bringen vergessene Momente ans Licht. Auch Fotografien nehmen eine zentrale Position in Am Fluß ein. Da sind zum einen die Polaroids der Erzählerin, die Bilder, die eine Bekannte mit der Lochkamera aufnimmt oder die Fotos, die sie als Kind bei der Großmutter ansieht und die – natürlich – auch einen Fluss und eine der vielen Jahrhundert-Fluten zeigt. Darüber hinaus enthält Am Fluß auch selbst einige Fotografien, die den einzelnen Passagen wie Mottos voran gestellt sind.
Am Fluß überzeugt besonders durch seine Sprache, die in ungewöhnlichen Bildern und mit poetisch-verschachtelten Sätzen die Fluss-Landschaft nicht nur beschreibt, sondern ihr ein sprachliches Denkmal setzt.
Am Fluß steht auf der Longlist für den Deutschen Buchpreis 2014.