Eigentlich ist Joachim Meyerhoff Schauspieler. Er ist Teil des Ensembles des Wiener Burgtheaters. Für dieses konzipierte er eine sechsteilige Reihe, in der er über sein Leben erzählte. Der Roman Ach, diese Lücke, diese entsetzliche Lücke fasst einen Teil dieses Programms zusammen.
Das Buch konzentriert sich auf die Zeit, in der Meyerhoff zum Schauspieler wurde. Fast zufällig und auch nicht zu 100% überzeugt schrieb er sich an der Otto-Falckenberg-Schule in München ein, wo er auch prompt genommen wurde. Ohne Job und eigenes Geld fand er „Asyl“ bei seinen in München lebenden Großeltern. Für die gesamte Zeit seiner Schauspiel-Ausbildung blieb er bei den beiden. Der Kontrast zwischen großelterlicher Routine und absurden Schauspiel-Techniken könnte kaum größer sein.
Zu Hause bei den Großeltern
Das großelterliche Leben ist geprägt von Großbürgertum, klaren Routinen und gesittetem Alkohol-Verzehr. Den beiden ist keine Anstrengung zu viel, um adrett gekleidet am Frühstückstisch zu sitzen. Ihre Morgen-Tabletten spülen sie mit Champagner herunter. Die Süddeutsche haben sie gleich zwei Mal abonniert, damit sie gleichzeitig das Feuilleton lesen können. Und Post vom Papst gab’s auch schon mal.
Hier tut sich in hundert Jahren weniger als in einer Tropfsteinhöhle.
Denn Meyerhoffs Großeltern waren kulturelle Größen in Deutschland: Seine Großmutter eine bekannte Schauspielerin, der Großvater emeritierter Philosophie-Professor. In dieser Umgebung stößt er gleichzeitig auf Verständnis für seine außergewöhnliche Ausbildung als auch auf klare Vorgaben, wie ein Tag zu gestalten sei. Und das schon von Kindesbeinen an.
Die nachmittäglichen Ruhestunden von zwei bis fünf Uhr zogen sich unendlich zäh dahin. Teilnahmslos hockte die Zeit im Haus der Großeltern in den Ecken herum, als wären diese drei Stunden apathische Insassen einer Anstalt. Hundertachtzig sedierte Minuten.
Ach, diese Lücke, diese entsetzliche Lücke: Leben zwischen Schauspielschule und Großeltern-Idylle
Die Routine bildet einen gesunden und wohltuenden Gegensatz zur Schauspielschule. Dort steht Meyerhoff anfangs kurz vorm Rauswurf, später hoffen alle nur noch, dass er sich endlich zum Schauspieler entwickelt. Doch dabei steht er sich selbst immer wieder im Weg. Obwohl er sich redlich Mühe gibt, werden seine Darstellungen nie so authentisch, wie das von ihm erwartet wird. Dabei – das wird bald klar – ist die Mühe, die er sich gibt, das eigentliche Problem.
Ständig geplagt von Sorgen, inmitten der grandiosen Großeltern unzulänglich zu sein, findet Meyerhoff bei seinen Großeltern die Herausforderung, endlich erwachsen zu werden.
Das Schweigen meines Großvaters hatte etwas Versteinerndes, als würde mich sein Intellekt mit einer Kruste überziehen.
Ach, diese Lücke, diese entsetzliche Lücke erzählt davon, wie Meyerhoff sich mit der Hilfe und am Beispiel seiner Großeltern selbst findet. Daher handelt es sich bei dem Roman eigentlich um einen Entwicklungsroman, auch wenn der Protagonist die 20 bereits überschritten hat. Gleichzeitig ist das Buch natürlich ein Denkmal für die wunderbar kultivierten und liebenden Großeltern, die Meyerhoff hatte, und das „Lieberling“, mit dem Großmutter Inge den „Jungen“ immerzu bedachte, klingt einem nach dem Lesen noch lange im Ohr.
Melancholische Autobiographie
Der Titel Ach, diese Lücke, diese entsetzliche Lücke ist ein Zitat aus Goethes Werther. Mit seiner eigenen Theater-Fassung des Briefromans feierte Meyerhoff seine ersten schauspielerischen Erfolge. Gleichzeitig zielt der Titel natürlich auf die Lücke ab, die die mittlerweile verstorbenen Großeltern hinterlassen haben.
Ach, diese Lücke, diese entsetzliche Lücke ist nach Amerika und Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war der dritte Teil der autobiographischen Reihe Alle Toten fliegen hoch. Genau wie Teil 2 der Reihe war der Roman für den Deutschen Buchpreis nominiert (Longlist), hat es aber zu meinem großen Bedauern nicht auf die Shortlist geschafft. Diese melancholische, humorvolle Autobiographie ist eine wunderbare Lektüre für alle, die sich mit der Frage beschäftigen, wie man der wird, der man ist.