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Liebe und Sex und alles dazwischen

von Yvonne

Die Frage nach dem Zusammenhang zwischen Sex und Liebe ist mittlerweile schon ein Klassiker. Zumindest in der Theorie ist der etwas verbreitetere Konsens, dass Sex ohne Liebe kein Problem ist, während Liebe ohne Sex nur schwer vorstellbar ist. In der Praxis ist das natürlich keine Garantie dafür, sich nach einem One-Night-Stand nicht vor Liebeskummer die Augen auszuheulen, und schließt auch nicht aus, eine auf Vertrauen und Nähe basierende Partnerschaft zu führen, in deren Prioritätenliste Sex eher auf den hinteren Plätzen rangiert.

Chloe und Rasmus sind seit zwanzig Jahren ein Paar. Sie sind sich gegenseitig eine Stütze, haben die selben Interessen, genießen ihr Zusammensein und sind beide dankbar dafür, dass sie den jeweils anderen gefunden haben. Sex spielt in ihrer Beziehung eine untergeordnete Rolle, findet selten statt und ist auch eher Pflicht- als Lusterfüllung. Beide sind sich dessen bewusst, empfinden dies auch immer wieder als Mangel, schätzen jedoch die übrigen Vorzüge ihrer Ehe so hoch, dass sie niemals auf den Gedanken kämen, dass ihre Partnerschaft deswegen nicht gut oder nicht ausreichend wäre.

Gerade im Alltag funktionieren Chloe und Rasmus gemeinsam gut: Er kommt irgendwie als Theater-Regisseur durch, auch wenn der erhoffte Durchbruch nie gekommen ist. Chloe geht ihrer Arbeit im Antiquariat vor allem deswegen nach, weil sie nicht nur die Frau des Künstlers sein will. Die Rollen-Verteilung ist jedoch nach beider Geschmack – Ambitionen hat Chloe nicht, so dass sie sich insgesamt sehr gut damit anfreunden kann, einen Job und keinen Beruf zu haben.

Der Tag, als meine Frau einen Mann fand: Alle denkbaren Konstellationen ausprobieren

Das gemütliche Gleichgewicht der beiden gerät ins Wanken, als Rasmus die Idee hat, seine Verwirklichung als Künstler zu finden, indem er ein Theaterstück in einem nicht namentlich genannten Land der Dritten Welt inszeniert. Seine romantischen Träume von der Kraft der Kultur scheitern an den pragmatischen Interessen der Einheimiscchen, mit denen er zusammenarbeiten muss. Während Rasmus sich nach und nach von dem Gedanken verabschiedet, dass sein Beitrag zur Kultur-Welt von großer Bedeutung sein wird, verbringt Chloe wie zu Hause auch die Tage alleine und lesend. Der Selbstmord eines anderen Hotelgasts bringt beide an den Rand der Verzweiflung und am Ende in einen „Massagesalon“, in dem Chloe Benny trifft. Benny ist das absolute Gegenteil von Rasmus – an ihm interessieren Chloe nicht der kulturelle Geschmack, nicht Gespräche über Politik und die Aussicht darauf, bis ans Lebensende nicht mehr allein sein zu müssen, sondern Sex. Völlig aus der Bahn geworfen, sich bewusst, dass die Hormone gerade zuschlagen (was aber nichts an der Realität ihrer Emotionen ändert), nimmt Chloe sich eine Auszeit von Rasmus, um mit Benny zusammen zu sein. Die vor allem im Bett verbrachte Zeit ist jedoch sehr kurz, weil der Rückflug bereits gebucht ist.

Der Tag, als meine Frau einen Mann fand erzählt völlig offen und tabulos über eine Dreiecksbeziehung, in der von vorneherein klar ist, dass ein Mensch alleine nicht ausreicht, all die Bedürfnisse eines anderen Menschen zu erfüllen. Rasmus vereint für Chloe Verangenheit und Zukunft, mit ihm hat sie bereits alles geteilt, schwere Zeiten durchgemacht und weiß, dass sie sich für alle Zeit auf ihn verlassen kann. Benny dagegen bringt die Gegenwart zurück in ihr Leben, indem alles, was mit Benny zu tun hat, sich nur um das Hier und Jetzt dreht und keine Fragen nach einem Vorher oder Nachher zulässt.

Doch nicht nur Chloe steht im Mittelpunkt von Der Tag, als meine Frau einen Mann fand – wie der aus Sicht von Rasmus formulierte Titel schon vermuten lässt. Abwechselnd erzählen sie und Rasmus ihre Eindrücke, die oft erstaunlich ähnlich sind, was bei einem Paar, dass so lange zusammen ist und sich so gut kennt, dann aber doch nicht wundert. Beide erkennen die Schwierigkeiten in ihrer Beziehung, die jedoch eher durch eine von einem anonymen „außen“ auf jede Beziehung projizierte Erwartung verursacht werden als durch selbst empfundene Mängel. Dass Chloe es ist, die sich noch einmal verliebt, die ihren Körper als Taktgeber im Leben akzeptieren muss, ist einerseits Zufall, andererseits gibt es der Affäre mit Benny auch ein ganz anderes Gewicht, denn Rasmus selbst deutet zu Beginn des Romans voraus, dass er es sein wird, der Chloe irgendwann mit einer Jüngeren betrügen wird, um seiner Midlife-Crisis zu entgehen. Dass Chloe diejenige ist, die auf ihre Hormone hört und Rasmus sitzen lässt, dass sie eine Affäre mit einem jüngeren Mann hat, was an ein paar Stellen im Roman thematisiert und vom Umfeld mit Unverständnis quittiert wird, macht Der Tag, als meine Frau einen Mann fand zu einem emanzipierten Buch, das sich loslöst von Klischees und Geschlechterrollen. Noch emanzipierter wird der Roman jedoch dadurch, dass er seinen Protagonisten zugesteht, ihr Glück da zu suchen, wo sie selbst es finden können, jenseits gesellschaftlich nie ganz explizit formulierter Erwartungen und Lebensentwürfe, so, wie sie selbst und nicht jemand anderes für sie ihr Glück definieren

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