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Auf der Suche nach Nabokov

von Yvonne

Wenn zwei Menschen sich treffen, die die gleiche Leidenschaft teilen, kann das auf Außenstehende entweder inspirierend oder aber befremdlich wirken. Als der namenlose Erzähler in Jens Sparschuhs aktuellem Roman Ende der Sommerzeit auf Grigori trifft, haben die beiden Männer der Wissenschaft jedenfalls nur noch ein Thema: Nabokov.  Griogri, Professor am selben amerikanischen Uni-Institut, an dem der Erzähler eine Stelle als Gastdozent bekleidet, forscht über den russisch-amerikanischen Schriftsteller (und Schmetterlingsforscher – daher das Cover des Romans).

Als er erfährt, dass seine neueste Bekanntschaft aus Berlin kommt, hat er sogleich eine Aufgabe für ihn: 1932 schrieb Nabokov während seiner Berliner Zeit den Kriminalroman Verzweiflung, in dem einvom Bankrott bedrohter Schokoladenfabrikant in einem Landstreicher seinen Doppelgänger erkennt – auch wenn jeder andere den beiden jegliche Ähnlichkeit abspricht – und diesen ermordet, um mit Hilfe seiner Frau seine Lebensversicherung zu betrügen. In das einzig verbliebene Exemplar der englischen Erstausgabe von Verzweifung malte Nabokov eine Skizze, die den Ort zeigt, an dem Nabokov mit seiner Frau Véra eine Datscha zu bauen plante und an dem darüber hinaus der Roman spielt. Den genaue Platz ist jedoch nicht einfach zu bestimmen, denn wahrscheinlich hat Nabokov die Skizze sowohl gespiegelt als auch um 90 Grad gedreht – und dann noch ein bisschen nach Gutdünken geändert.

Auf der Suche nach Nabokovs Grundstück

Also begibt sich der Gastdozent nicht nur auf den Heimweg nach Deutschland, sondern auch auf eine Schnitzeljagd, um ein Grundstück zu finden, dass irgendwo in seiner Heimatstadt und in einer 80 Jahre alten Skizze versteckt ist. Es kommt nur auf die Einzelheiten an – so Nabokovs Leitspruch, und davon gibt es bei der Suche mehr als genug. Diese jedoch zu einem sinnvollen Bild zusammenzusetzen, ist für den Hobby-Nabokov-Forscher kein leichtes Unterfangen.

Dabei bedient er sich dank einiger hilfreicher Hinweise seiner Bekannten Deborah ausgerechnet Freuds psychoanalytischer Methoden – und das, obwohl Nabokov Freud so sehr verabscheute, dass er ihm in beinahe jedem Vorwort eine eigene Schmähung widmete. Dennoch findet der Erzähler so nicht nur einen Weg zu Nabokov und dessen Literatur, sondern auch zu sich selbst und zu längst verschüttet geglaubten Kindheitserinnerungen.

Ende der Sommerzeit ist ein Roman über die Liebe zu Nabokov im Speziellen umd zur Literatur im Allgemeinen, über den Einfluss des Lesers auf das Gelesene und darüber, dass die Suche nach einer Sache immer auch die Suche nach etwas anderem umfasst. Der Erzähler, der selbstironisch die Macken anderer, aber vor allem seine eigenen kommentiert, weckt spätestens nach zwanzig Seiten das Verlangen, Nabokovs Gesamtwerk zu lesen und später noch Freuds gesammelte Werke hinzuzufügen.

Jens Sparschuh zeigt sich dabei als genauer Beobachter, der vertraute Alltagsszenen durch seine Beschreibung gleichzeitig vor dem inneren Auge des Lesers als Bild entstehen und darüber hinaus auch noch völlig neu erleben lässt – beispielsweise, wenn die Eitelkeiten (und Empfindlichkeiten) der beiden Experten portraitert werden oder ein unangenehmer Mitreisender, in der Szene, in der der Erzähler nach Berlin zurückfliegt und die zur Geschichte nichts beiträgt als seinen Ortswechsel einzuleiten, die aber vor allem auf Grund ihrer Details – es kommt schließlich nur auf die Einzelheiten an – hervorsticht und im Gedächtnis bleibt.

Kaum hatte Batman alias Froschmann sich endlich mit halber Drehung um die eigene Achse niedergesetzt, geschah es: Er ließ, wie ein Pilot, der durchstartet, seinen Sitz in eine zirka 45-Grad-Halbliegeposition zurückkippen. (Wahrscheinlich wollte er sich schon mal ein bißchen einliegen.)
[…] Vor Wut brachte ich kein Wort heraus. […]

So konnte ich ihn nur mit einigen sporadischen, aber sehr heftigen Kniestößen, die ich aus Leibeskräften in seine Rückenlehne rammte, stumm daran erinnern, daß es noch viel zu früh war, sich lang auszustrecken.

Besonders zeichnet sich Ende der Sommerzeit zudem durch einen spielerischen Umgang mit der Sprache aus, der dem Roman Humor verleiht und den Spaß beim Lesen gleichzeitig unglaublich erhöht. Sehr gerne macht Sparschuh Gebrauch von doppelten Wortbedeutungen und lässt somit auf einer Meta-Ebene auch das wiederholt im Roman auftretende Doppelgänger-Motiv einfließen.

„Ich würde sogar noch einen Schritt weitergehen“, sagte sie, sie war noch ein paar Schritte weitergegangen und lehnte jetzt am Geländer der Stahlbrücke, die über den Fluß führte.

Ende der Sommerzeit ist ein Roman für alle, die Literatur lieben, die Nabokov mögen und die sich an detaillierten Beobachtungen und besonderer Sprache erfreuen können.

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