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Von der Provinz in die Katastrophe

von Yvonne

Es sind zwei wichtige Lektionen, die der 17jährige Georg Röhrs, Lehrling in Linderstedts einzigem Eisenwarenladen, auf die harte Tour lernt. Die erste – Wenn man sich mit den Falschen einlässt, muss man am Ende die Konsequenzen tragen – kennt man aus zahlreichen Thrillern, die zweite aus dem eigenen Leben: Hat man einmal einen Fehler gemacht, zieht das unweigerlich weitere nach sich. Der Falsche, mit dem sich Georg eingelassen hat, ist sein Chef. Oskar Spick kennt sich nicht nur bestens mit Hammer, Nagel und Schraubendreher aus, sondern schickt seinen ersten und einzigen Lehrling auch gerne mal zu Spezial-Aufträgen los.

Mit einem erstaunlich leichten Koffer durch die Heide zu Herrn Kraus in die „Kleine Kassa“ und nach irgendwelchen Vorgängen hinter verschlossener Tür ebenfalls mit einem Koffer zurück. Ein paar Mal hat Georg diesen Auftrag bereits erfolgreich, zuverlässig und vor allem pünktlich ausgeführt. Doch dieses Mal begeht er einen Fehler: Ein Plakat, auf dem er seine seit zwei Jahren aus seinem Leben verschwundene Jugendliebe zu erkennen glaubt, lässt ihn eine Bus-Haltestelle zu früh aussteigen. Der Termin ist nicht mehr zu schaffen, und während Georg noch durch den Wald rennt, um pünktlich zur Kleinen Kassa zu kommen, stolpert er über eine Leiche. Von einem Moment auf den anderen sieht Georg sich zur Flucht gezwungen und beginnt einen rasend schnellen Abstieg, der ihn bald auf die Straße bringt. Während er weiß, dass die größte Gefahr aus Linderstedt droht, schafft er es doch nicht, sich der Anziehungskraft seines Heimatorts, in dem er bald von den Medien verfolgt wird, zu entziehen.

Kurz vor der Kleinen Kassa fängt das Unglück an

Schon vom ersten Satz an ist zieht Kleine Kassa den Leser mitten in die Handlung, in die Flucht von Georg Röhrs, die einen nur dann zur Ruhe kommen lässt, wenn sich Georgs Gedanken kurz in der Vergangenheit verlieren. Immer wieder staunt man über die schlimmer und schlimmer werdenden Wendungen, die der Protagonist erleiden muss, und über die nicht immer ganz vernünftigen Entscheidungen, die er trifft, beispielsweise, wenn er einen großen Teil seines Geldes in eine Haar-Verlängerung statt in ein Zug-Ticket aus der Stadt heraus steckt.

Kleine Kassa schafft zweierlei: Von der ersten bis zur letzten Seite schlägt es seinen Leser in den Bann, lässt ihn kaum Luft holen vor Spannung und sich überschlagenden Ereignissen, deren ganze Vielfalt und Breite sich vor dem Hintergrund des Lüdenstedter Mikro-Kosmos noch unglaublicher ausnimmt und die einen das Geschehen zum Teil schon in Film-Bildern denken lässt. Darüber hinaus fasziniert der Roman jedoch nicht nur durch die spannende Geschichte, sondern ebenso durch die Art des Erzählens, durch das Auslassen einzelner entscheidender Momente, die erst im Rückblick wieder aufgegriffen und erklärt werden, und durch die Sprache, die einem einen besonderen Zugang zur manchmal so ungeschickt agierenden Figur des Georg Röhrs gewährt. So finden sich beispielsweise halbe Seiten lange Absätze, in denen sich unter Georgs Gedanken die end- und atemlosen Tiraden des selbstgerechten Eisenwarenhändlers Oskar Spick mischen, der seinen Lehrling schon zu einem guten Teil mit seiner Weltanschauung gehirn-gewaschen hat.

Kleine Kassa steht auf der Longlist für den Deutschen Buchpreis 2014. Die Shortlist hat der Roman definitiv mindestens verdient. Hier findet ihr unser Interview mit Martin Lechner zu seinem Roman.

 

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