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Im ewigen Gestern das Heute suchen

von Yvonne

Vera Beacher hat’s nicht leicht. Schon ihren Nachnamen richtig auszuprechen – wie „beachten“ – ist eine Herausforderung für ihre Zeitgenossen. Da wird mal Beachy, mal Bee-Gee, mal Frau Bacher draus, und jede fremde Namensverunglimpfung nimmt sie genau so widerspruchslos hin wie die Rollenzuweisungen ihrer Umwelt: Freundin, Schwester Angestellte, Liebhaberin – Vera Beacher tut, was man von ihr erwartet. Eine Auszeit scheint ein Unfall in der Badewanne zu versprechen – sie rutscht aus, fällt hin und träumt von erwartungsfreien Tagen und ein bisschen Mitleid. Doch lediglich ihr Zeh ist verstaucht, aus Krankenhausaufenthalt und Rollstuhlzwang wird nichts. Stattdessen humpelt sie zumindest eine Straße hinunter, in der ihr ein Schild einer seltsamen Gruppierung auffällt: Die Legitimisten treffen sich regelmäßig, um über die Vorzüge der österreichischen Monarchie zu plaudern.

Da Vera Beacher ohnehin gerade auf der Suche nach einer ungewöhnlichen Betätigung ist, die ihr nicht von außen vorgegeben wird, schaut sie ganz unverbindlich mal zu einem „Schnupperabend“ in skurriler Runde bei ausreichend Wein und Bier vorbei und trifft auf eine illustre Gesellschaft, die aus ganz unterschiedlichen Gründen auf die Wiederkehr des Kaisers hofft.

Der aufblasbare Kaiser als Monarchie-Ersatz

Die Handlung in Der aufblasbare Kaiser ist überschaubar, aber um die geht es auch nicht. Stattdessen wird die Selbstfindung auf eine absurde Spitze getrieben: Hauptsache individuell, Hauptsache selbstbestimmt. Dass die Überzeugung, die man dann vertritt, zu einem passt, wird anschließend einfach argumentativ zurecht gerückt.

Der kleine Monarchisten-Fanclub mit seinen höchst unterschiedlichen Vertreten gibt außerdem ein satirisch überzeichnetes Bild der Wiener Gesellschaft ab, in der peinlich genau darauf geachtet wird, wer nun einen Doktor-Titel hat und wer nicht.

Besonders gelungen sind einzelne, sehr realitätsnahe Szenen, in denen die Langeweile zelebriert wird, in denen Vera Beacher so lange die Zeit verrinnen lässt, bis auch der letzte Kunst-Film-Regisseur sich gelangweilt abwenden würde. Erst dann ist sie zufrieden, denn erst, wenn sich wirklich niemand mehr für das interessiert, was sie tut, gehört es wirklich ihr selbst.

Der aufblasbare Kaiser steht auf der Longlist für den Deutschen Buchpreis. Ob der Roman es auf die Shortlist schafft, erfahren wir am 10. September.

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