Die Lyrik ist oft das zu Unrecht vernachlässigte Stiefkind der Literatur, bei Preisen übergangen und in der Buchhandlung in einem möglichst abgeschiedenen Regal versteckt, wo sie niemanden stört und niemand sie entdeckt. Nur selten werden zeitgenössische Lyriker – wie etwa der kürzlich verstorbene schwedische Dichter Tomas Tranströmer – aus der dunklen Ecke ins Rampenlicht gezerrt und wie in Tranströmers Fall mit einem so bedeutenden Literaturpreis wie dem Nobelpris geehrt.
Dass dieses Jahr ein Gedichtband auf der Shortlist für den Preis der Leipziger Buchmesse stand (wenn auch in der nicht ganz passenden Kategorie Belletristik), ist also eine kleine Sensation, die dadurch noch umso beeindruckender wird, dass Jan Wagners Regentonnenvariationen nicht nur nominiert waren, sondern auch mit dem Preis ausgezeichnet wurden. Ein guter Grund also, sich diese Gedichtsammlung auch dann näher anzusehen, wenn man wie der durchschnittliche Literatur-Konsument und -Interessent eher auf Prosa spezialisiert ist.
Regentonnenvariationen: Bodenständige Lyrik mit Tiefgang
Eins fällt einem sofort auf an den Gedichten in Regentonnenvariationen: Sie zeichnen sich durch eine geradezu unlyrische Bodenständigkeit aus, durch eine Verhaftung im Realen, die man fast schon eher einem Sachbuch zutrauen würde. Jan Wagner bedient sich an der Natur und an Alltäglichem als Inspirationshilfe, schreibt über Büsche, Bäume, Tiere und unscheinbare Menschen. Natürlich hat diese vordergründige Alltagsverbundenheit einen lyrischen doppelten Boden, bringt Emotionen und Beobachtungen, die sich auf das seelische Innenlben beziehen, in Zusammenhang mit an sich ganz gefühl- und willenloser Umwelt.
Was Regentonnenvariationen auszeichnet und dem Band die aktuelle Aufmerksamkeit sicher mit beschert hat, ist die Nahbarkeit der Sprache, die man so in einem verdichteten Text nicht erwartet und die eine Einordnung unter Belletristik tatsächlich nicht nur als Notlösung erscheinen lässt.
Wer sich nach längerer Abstinenz an zeitgenössische Gedichte „heranwagen“ möchte, ist mit Regentonnenvariationen sicher gut bedient. Eine Lanze für das Gedicht an sich hat der Band in jedem Fall gebrochen.