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Mehr als Geld

von Yvonne

Anton und Denise haben mehr gemeinsam als sie selbst auf den ersten Blick vermuten. Ihre Wege kreuzen sich hin und wieder in dem Supermarkt, in dem Denise als Kassiererin arbeitet und Anton regelmäßig Pfandflaschen einlöst, um sich davon eine Tiefkühl-Pizza leisten zu können. Beide träumen von einem anderen Leben und sind dennoch so im Alltag gefangen, dass sie diesen kaum bewältigen können. Anton wünscht sich zurück in frühere Zeiten, als er noch Jura studierte und mit lauter Einsen eine gute Aussicht auf Erfolg im Leben hatte, noch bevor er einen ganzen Sommer lang abstürzte und unkontrolliert Schulden aufnahm. 3000 Euro sind es, die ihm fehlen, um das Schlimmste abzuwenden, einen Gerichtsprozess mit der Deutschen Bank. Für Anton ist diese Summe unaufbringbar, Freunde von früher wollen oder können ihm nicht helfen, und seine Mutter möchte er nicht fragen, weil die ihre eigenen Probleme hat. Und so driftet Anton mehr und mehr in die Obdachlosigkeit und Verwahrlosung ab, übernachtet nicht mal mehr im Übergangsheim, sondern unter freiem Himmel, und haut die 200 Euro, die ein Freund mit schlechtem Gewissen ihm zusteckt, gleich für Garnelen und Champagner auf den Kopf.

Auch Denise wäre gerne jemand anderes. Sie träumt von einem Leben, das sie aus dem Fernsehen kennt, dem Leben der Stars und Halb-Berühmtheiten, am liebsten in New York. Stattdessen kümmert sie sich um ihre Tochter, die an einer Wahrnehmungsstörung leidet, wobei jedoch nicht klar ist, ob die Störung vielleicht darin besteht, dass nur Denise sie wahrnehmen kann. Um ihr Einkommen aufzubessern, hat sie sich auf Porno-Drehs eingelassen, und zufälligerweise stehen ihr jetzt etwas mehr als genau die 3000 Euro zu, die Anton aus seinem Desaster helfen könnten. Doch das Geld kommt nicht, und stattdessen fühlt Denise sich von jedem Mann erkannt und anzüglich begutachtet.

New York ist nicht so, wie Denise es sich vorgestellt hat, aber wieso sollte gerade New York die Ausnahme von der Regel sein?

3000 Euro machen den Unterschied

Thomas Melle erzählt in seinem Roman 3000 Euro eine Geschichte von zwei jungen Erwachsenen, die sich selbst an den Rand der Gesellschaft manövriert haben und einen Ausweg von dort suchen. Dabei ist es einzig das Geld, das ihre Position innerhalb der Gesellschaft definiert, noch dazu ein zwar hoher, aber nicht unerreichbarer Betrag, der bei beiden über Erfolg oder Misserfolg im Leben entscheidet. 3000 Euro – das ist der Wert, mit dem der Roman die Grenze zwischen Ausgeschlossenheit und Teilhabe beziffert und der für Anton und Denise in nicht greifbare Entfernung gerückt scheint.

In teils drastischen Bildern schildert Thomas Melle eine Gesellschaft neben der Gesellschaft, in der es normal ist, sich für ein paar Euro vor Fremden zum Affen zu machen oder für ein paar Euro mehr mit wildfremden Männern vor der Kamera Sex zu haben. Dabei stellt der Roman stets die Frage, ob ein Weg zurück über die kleinste Gesellschaftsform, die wir kennen, führen kann, über eine Beziehung, ein Paar. Denise und Anton, die sich vor allem auf Grund ihrer jeweiligen Außenseiterrolle voneinander angezogen fühlen, sind jedenfalls bereit, jeden Weg zu versuchen, um aus ihrer selbst geschaffenen Situation herauszukommen.

3000 Euro steht auf der Longlist für den Deutschen Buchpreis 2014. Die Bekanntgabe der Shortlist erfolgt am 10. September.

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