Berlin, 1915: Ein Mann, Mitte 30, zieht die Aufmerksamkeit der Nachbarschaft auf sich, indem er um die Häuserblocks streift und aus etlichen kleinen Säckchen Sand zwischen die Berliner Straßen-Steine rieseln lässt und dabei Namen italienischer Orte vor sich hin murmelt. Es dauert nicht lange, bis man ihn auf eine Polizei-Wache mitnimmt, wo er sein Verhalten zumindest erklären soll. Jacob Tolmeyn, so der Name des Manns, sieht sich Kommissar von Treptow gegenüber, der ihn seine Geschichte erzählen lässt, die etwas mehr als ein Jahr zuvor beginnt, als der Erste Weltkrieg sich schon andeutete, aber noch nicht begonnen hatte.
In Rom arbeitet Tolmeyn 1914 als Kunst-Historiker und sortiert mit seinem Kollegen Beat Muri vor allem alte Dokumente. Begeistert bricht er auf, als sein Chef ihn nach Andria in Süd-Italien schickt, um den Bürgermeister der Stadt und sein Gefolge beim Öffnen zweier Särge aus dem Mittelalter zu unterstützen – und sie davon abzuhalten, historische Werte zu zerstören. Da er sich gut macht, wird er bald auf weitere Exkursionen geschickt, zunächst gegen seinen Willen nach Berlin, um das Fotografieren zu lernen, später dann auf eine ausgedehntere Reise durch den Süden Italiens, um Geböude aus der Zeit Friedrichs II. zu fotografieren und auszumessen. Zunächst unwillig nimmt Tolmeyn die Nachricht auf, dass Beat ihn begleiten soll – viel lieber hätte der luxus-liebende junge Mann die Reisekasse nach eigenem Gutdünken verwaltet – doch schon bald merkt er, dass er sich mit Beat nicht nur gut versteht, sondern sich auch zu ihm hingezogen fühlt. Doch obwohl – anders als in der deutschen Heimat – in Italien Homosexualität nicht unter Strafe steht, zögert Tolmeyn, weil er aus seinen Berliner Tagen nicht nur gute Erfahrungen mit sich herumträgt.
Das Sandkorn: Geschichte einer unmöglichen Liebe
Das Sandkorn erzählt poetisch, einfühlsam und auch spannend die Geschichte einer sehr schwierigen Liebe, die auf Grund der gesellschaftlichen Gegebenheiten stets bloße Andeutung bleibt. Erzählt wird die Geschichte der Reisen Tolmeyns, eingebettet in eine Rahmenhandlung, die nach seiner Rückkehr nach Berlin spielt. Lücken in der Erzählung schließen die Memoiren des Kommissars, aus denen zitiert wird. Dass dieser Tolmeyn den ganzen Roman über auf der Wache hält, besitzt natürlich einen Hintergrund, denn von Treptow entdeckt schnell kleine Unstimmigkeiten in Tolmeyns Erzählung und ist überzeugt, dass er hier ein Verbrechen lösen kann – und eins, dass nichts mit den Sandsäcken zu tun hat.
Schließlich verdichten sich die beiden Stränge der Handlung – Liebes- und Kriminalgeschichte – zu einem Zeugnis von Ausgrenzung und Benachteiligung auf Grund von Abweichungen von einer Norm, die die Zeit diktiert.
Alle Hauptfiguren in Das Sandkorn haben reale Vorbilder; die Reise nach Süd-Italien gab es wirklich und aus den Memoiren des eigentlichen Kommissars wird teilweise zitiert.
Das Sandkorn ist für den Deutschen Buchpreis 2014 (Longlist) nominiert.